Tilman Baumgaertel on Wed, 11 Sep 96 15:40 METDST |
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nettime: Nettime: You've just been erased! |
Here's a piece on the represetation of computers in cinema, disguised as a review of "Eraser" - unfortunately in German, there was no time to translate it... Tilman --------------------------------------------------------------------------------- ---------------------------- Du wurdest gerade geloescht! In Eraser kaempft Arnold Schwarzenegger gegen die Dienstleistungsgesellschaft Von Tilman Baumgaertel Am Ende von Eraser stehen sich Arnold Schwarzenegger und James Caan nach einer Verfolgungsjagd durch eine Waffenfabrik ploetzlich allein in einem langen, weisz getuenchten Gang gegenueber. Sie haben sich durch den ganzen Film gejagt. Caan (Der Boese) hat seinen ehemaligen Freund und Kollegen Schwarzenegger (Der Gute) erst verraten, dann versucht, ihn umzubringen. Als sie jetzt ueberraschend miteinander konfrontiert werden, stehen viele Menschenleben auf den Spiel. Wenn Caan ueberlebt, wird eine neue Wunderwaffe in die Haende der Russenmafia geraten. Und wahrscheinlich wird auch Vanessa Williams sterben, die Schwarzenegger, der Agent eines Zeugenschutzprogramms ist, beschuetzen soll. Leichte Kamerauntersichten unterstreichen die Dramatik der Situation. Es ist eine archetypische Szene, ein Duell auf Leben und Tod. Gleich wird jemand sterben. Wir haben diese Szene schon tausendmal in tausend anderen Filmen gesehen. Wir wissen, was geschehen wird, bevor Caan oder Schwarzenegger ihre halbautomatischen Waffen auch nur angehoben haben. Gleichzeitig beginnen die beiden zu schieszen. Doch obwohl sie sich direkt gegenuebersteht und aufeinander feuern, wird keiner der beiden getroffen. Als wuerde ein Geist die Kugeln aus der Luft fischen, scheinen die Geschosse lautlos im Flug zu verschwinden, ohne den Koerper des Gegners zu erreichen. Nach mehreren Salven blicken beide verbluefft auf die rauchenden Muendungen ihrer Waffen, dann auf ihren unverletzten Kontrahenten, dem sie gegenueberstehen wie ihrem eigenen Spiegelbild. Der Actionfilm Eraser leistet sich eine Situation, die nicht mit Gewalt geloest werden kann.... Ein gut geputztes und darum unsichtbares Tor aus Glas teilt den Gang des HighTech-Labors, wir wir sehen werden. Darum wird keiner getroffen: An der schuszsicheren Scheibe prallen die Geschosse der beiden Gegner ab wie Flipperkugeln. Ein UEberraschungstrick, weiter nichts. Und natuerlich wird Schwarzenegger seinem Gegner am Schlusz des endlosen Showdowns sein schmutziges Handwerk legen. Diese Duellszene ist mir im Gedaechtnis haften geblieben, weil sie mehr ist als ein verblueffender Effekt in einem Actionfilm. Sie beschreibt gleichzeitig ein Dilemma, das es dem traditionellen, narrativen Kino immer schwerer macht, seine Geschichten zu erzaehlen: Dem Kino, das bisher von physischer, abfilmbarer Aktion, von Bewegung, Geschwindigkeit, Tempo lebte, gehen die Motive verloren. Das "Bewegungsbild" (Gilles Deleuze) des narrativen Kinos braucht physische Action, auf die es seine Kameras richten kann. Doch in der wirklichen Welt, in unserem Nicht-Kino-Alltag verschwindet gerade diese physische Aktion, jeden Tag ein Stueck mehr. Sie wird ersetzt durch hoechst abstrakte, optisch nicht mehr darstellbare Prozesse in Computern, Datennetzen, in Apparaturen, die in gesichtslosen Kisten stecken. Das Sichtbare verschwindet in der Technologie - und damit das, wovon das Kino seit ueber hundert Jahren lebt. UEber einen guten, alten Bankueberfall kann man einen zwei Stunden langen Film - wie Hundstage - machen. Wenn aber jemand - wie in Terminator 2 - mit einer manipulierten Kreditkarte einen Geldautomaten ausleert, ist die Szene nach maximal fuenf Minuten abgefilmt. Die schlimmsten Verbrechen findet heute wahrscheinlich im elektronischen Geldkreislauf zwischen den internationalen Boersenplaetzen statt. Dem Hollywood-Kino ist aber bis heute nichts gescheiteres eingefallen, als Verfolgungsjagden wie zu Zeiten von The Great Train Robbery zu inszenieren. So wird man die Verbrechen, die Dramen, die Komoedien und die Strafen des 21. Jahrhunderts wohl nicht mehr darstellen koennen. Das traditionelle Hollywood-Kino hat sich lange um dieses Problem herumgedrueckt. Und Eraser ist ein besonders nachdruecklicher Versuch, so zu tun, als koennte man das Verschwinden der sichtbaren Welt in der gestaltlosen Technik ignorieren. Die unsichtbare Wand aus kugelfestem Glas in der oben beschriebenen Szene repraesentiert den stummen Zwang der Verhaeltnisse in der technisierten und computerisierten Welt. Statt Gegnern aus Fleisch und Blut stehen Schwarzenegger und Caan einer unpersoenlichen, abstrakten technologischen Macht gegenueber, gegen die ihre MG-Kugeln nichts ausrichten koennen. Die noch nicht mal mehr zu sehen ist. Brecht hat in den Zwanziger Jahren geschrieben, ein Bild von einem Krupp- Werk wuerde nicht zeigen, wie das Unternehmen Krupp funktioniert. Aber immerhin konnte man bei Krupp noch die Kamera auf Maschinen und koerperlich arbeitende Menschen richten. Wer in den Neunziger Jahren einen Arbeitsplatz der Dienstleistungsgesellschaft filmen will, musz Leute an Computern zeigen - und das ist nicht gerade ein Augenkitzel. Wie die Mechanismen funktionieren, die hinter deren Taetigkeiten stehen, ist vollkommen undarstellbar geworden. Eraser verteidigt das Recht auf Darstellbarkeit mit dem Schnellfeuergewehr: Als Schwarzenegger kapiert, dasz zwischen ihm und Caan eine Fensterscheibe ist, feuert er auf den Rauchmelder unter der Decke. Sprinkleranlage und Feueralarm legen los, and here we go again: Wasser spritzt von der Decke, die Glasscheibe schiebt sich hoch, die kurze Atempause ist vorbei, und weiter geht die Verfolgungsjagd nach alter Manier - treppauf, treppab, durch Hinterhoefe, Schrottlager, Hafenanlagen. Die "Sichtblenden" unserer technisierten Lebenswelt - Schwarzenegger ist es noch einmal gelungen, sie wegzuballern. Wieder und wieder rekapituliert Eraser diesen Akt der Re-Visualisierung von unanschaulichen, technischen Vorgaengen: Als in einem Buerogebaeude der Strom ausfaellt und der Computer die ueberlebenswichtige CD-Rom nicht ausspuckt, hilft wieder nur eine kurze Salve mit der MG, um die Chassis des Rechners zu knacken. Spaeter, als Schwarzenegger zum groszen Abschlusz- Shoot-Out schreitet, wirft er mit nonchalanter Geste seinen Handy weg: Von hier an hilft keine draht- und koerperlose Technik mehr, sondern nur noch pure, physische Gewalt. Und auch die Hightech-Superwumme, um die sich der Film dreht, ist nicht mehr zu gebrauchen, als das Starkstromkabel reiszt und der Saft weg ist. Schwarzenegger altmodisches, mechanisches Maschinengewehr dagegen: es schieszt und schieszt und schieszt... Interessanterweise spielen in Eraser auch Mitglieder einer Industriegewerkschaft eine positive Rolle. Am Schlusz des Films kommen Schwarzenegger eine Handvoll uebergewichtiger Italo-Amerikaner aus dem Gewerkschaftsbuero der Hafenarbeiter mit ihren rohen Faeuste zur Hilfe. Die Szene am Hafentor sieht fast aus wie eine Parodie auf die Streiks und Arbeitskaempfe, die es in den USA schon lange nicht mehr gibt. Ein Wachposten, der mit koerper-gestuetztem Funkgeraet und anderen technischen Klimbim armiert ist, kriegt nach alter Vaeter Sitte eins auf die Glocke, begleitet von dem Kommentar: You just don't fuck with the union! Dabei sind die Gewerkschaften in amerikanischen Unterhaltungs-Filmen seit der "Reagan Revolution" gefickt worden wie niemand sonst auszer den kolumbianischen Koksbaronen: Meist verjuxten sie die Mitgliedsbeitraege und waren ebenso skrupelos wie korrupt, und im uebrigen einfach ein Anachronismus aus der Zeit der industriellen Revolution - genauso wie die Arbeiterschaft, die sie vertraten. You've just been erased!, heiszt es in Eraser wieder. Fuer die Arbeiterklasse im US-Film - und in den USA - gilt dasselbe: Sie ist einfach geloescht worden wie eine Datei von einer Computerfestplatte. Sie ist nicht mehr sichtbar, weder im Alltagsleben noch im Kino, was in den USA beinahe dasselbe ist. Die Deindustrialisierung Amerikas ist vom Kino mitvollzogen worden: Hart arbeitende blue collar-Menschen mit Wuerde und Selbstbewusztseins, die ewigen little Joes aus Frank Capras Filmen, sind im amerikanischen Kino kaum noch zu sehen. Statt dessen gibt es jede Menge verwahrlosten white trash, den man als tragische Figur ohne Krankenversicherung in einem Wohnwagen auf dem Schrottplatz lebend besichtigen kann. "Ein Nichts zu sein, trag' es nicht laenger", forderte die "Internationale" vom Proletariat. Eraser erkaempft der Menschen Recht auf Kino-Darstellung. Schwarzenegger und die Verdammten dieser Erde - das ist eine seltsame "Solidargemeinschaft". Doch dieselbe Technik, die die amerikanischen Arbeiterklasse geloescht hat, macht jetzt Schwarzenegger arbeitslos. Auch "The last Action Hero" ist ein Modernisierungsverlierer: Die Apparate, die die Aufgaben der Industriearbeiter uebernommen haben, sind dieselben, die jetzt im Kino nach nix aussehen. Und gegen den Maschinenpark der postindustriellen Gesellschaft ist Schwarzenegger mit all seinen Muskeln und Waffen machtlos. Eraser ist nur einer von mehreren neuen amerikanischen Mainstream-Filmen, die sich mit dem Problem der Computerisierung und dem Verschwinden des Sichtbaren befassen: Auch in Mission Impossible geht es um Computer und eine Syquest-Disk, auf der eine Liste von amerikanischen Spionen gespeichert ist; und Tom Cruise fahndet sogar im Internet nach den Dieben. In Copykill bekommt Sigourney Weaver ihre Morddrohungen per Email (inklusive Java- Applet!) statt mit der Schneckenpost und loggt sich zum Internet Relay Chat ein; der Moerder schneidet die Filme von seinen Opfern auf einem PowerMac. In Assaissins gehen Sylvester Stallone und Antonio Banderas als Profikiller nicht nur mit Maschinengewehren, sondern auch mit ihren Laptops aufeinander los. (Freilich hat der Film ein sinnlicheres Verhaeltnis zu den Waffen als zu den Computern: Banderas streichelt und kueszt sein Gewehr, das PowerBook wird nur angeschaltet und zugeknallt.) Jeder dieser Filme versucht auf seine Weise, Computer in den Film einzubeziehen, ohne auf eine althergebrachte Dramaturgie mit Action, Verfolgungsjagden und Tempo, Tempo, Tempo zu verzichten. Ironischerweise waeren freilich viele der spektakulaersten Szenen dieser Filme ohne Computer gar nicht moeglich gewesen. Besonders Eraser lebt von Special Effects, die nur mit schnellen Silicon Graphics Supercomputern fabriziert werden koennen. John Sullivan, der die Spezialeffekte fuer Eraser gemacht hat, lobt sogar ausdruecklich Schwarzeneggers Talent, mit Computeranimationen zu arbeiten: "Er kennt die Technologie, derer wir uns bedienen, die Computerbilder und Greenscreens." In einer Szene spielt Schwarzenegger im freien Fall Fangen mit einem Fallschirm, spaeter ringt er im New York City Zoo mit Krokodilen, und befoerdert sie schlieszlich mit den Worten You are luggage! ins Jenseits - beides ziemlich unmoegliche Stunts, die in Eraser aus Realaufnahmen, Computereffekten und mit Modellen getuerkten Einstellung wie ein Puzzle zusammenmontiert wurde. Das Sichtbare verschwindet im Computer, aber der Computer bringt das Sichtbare auch wieder hervor. Zwei Dinge braucht jeder Film, soll David W. Griffith gesagt haben: A girl and a gun, ein Maedchen und eine Knarre. James Caan bringt diesen Merksatz in Eraser auf den neuesten Stand der (Digital-)Technik, als er bruellt: Get the girl! Get the gun! And get the disk! Ein Maedchen, eine Knarre und eine Diskette - Eraser versucht, aus diesen Ingredienzien wieder ein Filmdrama zu machen. Doch, auch das musz man sagen, ein richtig guter Film ist Eraser nicht: James Caan ist groszartig, aber Vanessa Williams agiert wie eine animierte Schaufensterpuppe, und das Drehbuch ist undurchsichtig und strotzt vor doofen Dialogen. Doch vielleicht sind die Schwaechen von Eraser die Abnutzungerscheinungen eines anachronistischen, von der Technologie ueberholten Erzaehlkinos? Eraser endet mit einer symbolischen Szene. Eine Ikone der industriellen Revolution - und des Kinos - hat im Grande Finale des Films einen Gastauftritt: die Eisenbahn. Ein Gueterzug zermoersert das Auto, in dem die HighTech- Banditen eingesperrt sind, weil Schwarzenegger an der elektronischen Tuerverriegelung (!!!) gebastelt hat. Einer der Gewerkschafter sieht wohlgefaellig zu. Das ist die Rache der Modernisierungsverlierer: Wenn wir schon von der Technik ueberfluessig gemacht und im Kino ausradiert worden sind, dann nehmen wir euch wenigstens mit. Wenigstens dieses eine mal, wenigstens in diesem einen Film. Ich stelle mir vor, dasz diese Szene in einem amerikanischen Kinos beim proletarischen Publikum zustimmendes Gebruell und Szenenapplaus ausloesen duerfte. You've just been erased, sind die letzten Worte des Films. Eraser, USA 1996, Regie: Charles Russel, mit Arnold Schwarzenegger, James Caan, Venessa Williams, James Coburn, Robert Pastorelli -- * distributed via nettime-l : no commercial use without permission * <nettime> is a closed moderated mailinglist for net criticism, * collaborative text filtering and cultural politics of the nets * more info: majordomo@is.in-berlin.de and "info nettime" in the msg body * URL: http://www.desk.nl/~nettime/ contact: nettime-owner@is.in-berlin.de