Tilman Baumgaertel on Mon, 27 Jan 97 23:04 MET |
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nettime: Angela Marquardt |
My apologies to all nettimers who don't read german, but this is important... "Die naechste Revolution findet im Internet statt" Interview mit Angela Marquardt (PDS) ?: Frau Marquardt, auf Ihrer Homepage haben Sie einen Hyperlink auf die Online- Ausgabe der linksradikalen Zeitschrift "Radikal". Darum hat Sie die Staatsanwaltschafts des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten angeklagt: Sie haetten Schriften verbreitet, in denen Verbrechen beschrieben werden und diese dadurch gebilligt. Sind Sie schuldig im Sinne der Anklage? Marquardt: Nein, denn ich habe ja nichts verbreitet. Auf einer meiner Seiten befindet sich ein Querverweis zu einer Seite, von der aus die "Radikal" gelesen werden kann. Das ganze steht im Zusammenhang mit einer Reihe von bekannten Leuten, welche die Razzien und Prozesse gegen die Zeitschrift verurteilen. Ich persoenlich habe mit der "Radikal" nichts zu tun. Fuer meine politische Arbeit brauche ich diese Zeitschrift nicht. Aber die Art, wie mit der "Radikal" umgegangen wird, ist falsch. ?: In der Ausgabe Nummer 154 der "Radikal" gibt es einen Artikel mit dem Titel "Kleiner Leitfaden zur Behinderung von Bahntransporten aller Art", in dem vorgeschlagen wird, Schaltkaesten an Bahnstrecken zu zerstoeren, um Rekrutierungszuege aufzuhalten. Die Staatsanwaltschaft des Amtsgerichts Berlin wirft Ihnen vor, dasz Sie durch ihren Hyperlink zur "Radikal" solche Taten gebilligt haetten. Marquardt: Den Inhalt der "Radikal" Nummer 154 kannte ich ueberhaupt nicht. ?: Aber Sie wuszten, dasz in der "Radikal" in der Regel keine Rezepte fuer Weihnachtsplaetzchen stehen? Marquardt: Auf meiner Homepage habe ich Erklaerungen vorgeschaltet, in denen ich mich von Straftaten und Gewalt, ueber die in der Radikal berichtet wurden, distanziere. Der Vorwurf ist laecherlich. Was die Staatsanwaltschaft durch ihre Anklage jetzt erreicht hat, ist, dasz jeder diese "Radikal"-Seiten lesen will. Sie sind inzwischen auf verschiedenen anderen Seiten gespiegelt worden, und sogar in ganz unpolitischen Computerzeitungen steht etwas ueber dieses Thema. Wer traegt denn da nun zur Verbreitung der "Radikal" bei? Ich oder die Staatsanwaelte? ?: Wenn Sie am 4. Februar vor dem Amtsgericht-Tiergarten wegen ihrer Homepage vorgeladen sind... Marquardt: Urspruenglich ist der 4. Februar der Termin fuer ein Verfahren, das von der "Jungen Freiheit" gegen mich angestrengt wurden. Jetzt versucht die Berliner Staatsanwaltschaft, dieses Verfahren mit dem "Radikal"- Verfahren zusammenzulegen, obwohl beide nichts miteinander zu tun haben. Lediglich der Tatvorwurf soll der gleiche sein: Billigung und Belohnung von Straftaten. Wahrscheinlich wissen die, wie duenn beide Anklagen sind, und wollen durch die Zusammenlegung ueberhaupt erst ein Urteil erzielen. ?: Wie werden Sie sich verteidigen, wenn es zum Verfahren wegen Ihrer Homepage kommt? Marquardt: Darueber will ich jetzt noch nichts sagen. Aber ich will, dasz vor Gericht Internet-Experten angehoert werden. Das ist fuer mich ein Praezedenzfall, der vor Gericht auch entsprechend verhandelt werden musz. ?: Es gibt auf anderen deutschen Homepages Links auf die "Radikal". Warum, glauben Sie, sind gerade Sie angeklagt worden? Marquardt: Fuer mich ist das ein politischer Prozesz. Ich glaube, da kommen mehrere Gruende zusammen. Erstens spitzt sich die Kampagne gegen die "Radikal" zu. Die Redaktion ist ja auch angeklagt worden, und da versuchen die Staatsanwaelte jetzt ueberall, hart durchzugreifen. Auszerdem versucht man natuerlich auch, einen Zusammenhang zwischen mir und dem linksradikalen, autonomen Spektrum herzustellen. Und vor allem soll ueber meine Person die ganze PDS kriminalisiert werden. Mit der Kommunistischen Plattform geht das nicht mehr, weil bei dem Thema inzwischen alle nur noch gaehnen. In der Anklageschrift wird der Vorgang ja ausdruecklich mit mir als "stellvertretende Bundesvorsitzende der PDS" begruendet. ?: Auf dem PDS-Parteitag am vergangenen Wochenende haben sie nicht wieder als stellvertretende Parteivorsitzende kandidiert. Wird dieses Verfahren Ihr zukuenftiges politisches Engagment beeinfluszen? Marquardt: Nein. Ich gehe davon aus, dasz ich im Recht bin. Aber wenn ich verurteilt werde, steht im polizeilichen Fuehrungszeugnis: Vorbestraft. Auszerdem musz ich mir jetzt einen Job suchen. Ich weisz nicht, ob dieses ganze Theater da hilfreich ist. Da kann es schon sein, dasz ein moeglicher Arbeitgeber Angst hat, dasz er ploetzlich den Verfassungschutz vor der Tuer stehen hat. ?: Werden Sie bei dem Prozesz von Ihrer Partei unterstuetzt, obwohl sie nicht mehr stellvertretende Bundesvorsitzende sind? Marquardt: Fragen Sie mal knapp 120.000 PDS-Mitglieder, was das Internet ist. Ich erwarte deshalb nicht, dasz jeder sofort versteht, warum dieses Verfahren politisch so wichtig ist. Aber die Unterstuetzung ist vorhanden. Auf dem Parteitag am letzten Wochenende ist einstimmig eine Solidaritaetsresolution verabschiedet worden. Ich erhalte "politische und finanzielle Unterstuetzung", heiszt es darin. Damit stehe ich nicht alleine da. ?: Erwarten Sie auch Unterstuetzung von der deutschen "Net-Community"? Marquardt: Die gibt es schon. Wir bekommen jeden Tag Emails, da war sogar schon ein Spendenangebot dabei. Auch etliche Computerzeitschriften haben sich auf meine Seite gestellt. Selbst Leute, die die PDS politisch scheisze finden, sind in diesem Fall mit mir solidarisch. Denn bei diesem Fall geht es nicht so sehr um mich oder um meine Partei, sondern um Zensur im Internet. Dieses Thema musz in der OEffentlichkeit diskutiert werden. ?: Werden Sie auch weiterhin politisch im Internet aktiv bleiben? Marquardt: Ich habe von Anfang an versucht, alles was ich politisch mache, auch oeffentlich zu machen - im Internet und anderswo. Und so wird es auch bleiben. Das Internet bietet heute neue Moeglichkeiten der politischen Verstaendigung. Und das soll offenbar verhindert werden. Ein Fehler, den gerade Parteien im Internet machen, ist, dasz sie das Netz nur als Werbemedium betrachten. Aber es geht nicht darum, schoene Fotos vom laechelnden Gregor Gysi und der kaempferischen Angela Marquardt ins WorldWideWeb zu stellen. Das Internet hilft mir als Politikerin, nicht ganz abzuheben. Im Netz kann ich mit den Leuten direkt diskutieren - auch mit solchen, die ich sonst nie treffen wuerde. Dadurch gibt es Rueckkoppelungen, und das macht Politik auch wieder transparenter. Die naechste Revolution findet im Internet statt. Interview: Tilman Baumgaertel Dieses Interview erscheint zusammen mit einigen anderen interessanten Text-"Modulen" (ja, so sagt man) zum Thema bei "Telepolis" (http://www.heise.de/tp) -- * distributed via nettime-l : no commercial use without permission * <nettime> is a closed moderated mailinglist for net criticism, * collaborative text filtering and cultural politics of the nets * more info: majordomo@is.in-berlin.de and "info nettime" in the msg body * URL: http://www.desk.nl/~nettime/ contact: nettime-owner@is.in-berlin.de