<<bernhard loibner>> on Sat, 11 Mar 2000 10:15:25 +0100 (CET) |
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[rohrpost] Theory Music |
Theory Music "Theory Music" ist eine Sammlung von Soundarbeiten von Bernhard Loibner. Die Stücke wurden ursprünglich für das ORF-Kunstradio und verwandte Online-Projekte produziert. "Theory Music" wurde im Februar 2000 auf einer CD in der Edition Kunstradio (Wien) veröffentlicht. Die Onlineversion ist unter http://www.allquiet.org/theorymusic/ zu finden. Die Grundlage von "Theory Music" bilden akustisch bearbeitete Texte, von den Autoren selbst gesprochen, sowie vorgefundene Stimm-Samples aus Radio und anderen Quellen. Die Stimmen wurden zuerst ausgewählt und die Kompositionen um dieses Material "herum" komponiert. Dabei habe ich verschiedene Strategien verfolgt, Sprache als ein musikalisches Element zu verwenden. Der Titel beschreibt worum es bei diesem Projekt geht - die Verbindung von "Theorie" und "Musik". Bei den Stücken dieser CD wirken diese beiden voneinander unabhängigen Dinge miteinander, gegeneinander, ineinander. Nach mehr als 4 Jahren Arbeit an und mit diesen Stimmen und Sounds kann ich nicht mehr festzustellen wo in den Stücken "Theory" aufhört und wo "Music" beginnt. Dieses Verschwimmen von normalerweise streng getrennten Bereichen war auch eines der Ziele dieses Projektes. Das Voranstellen des Wortes "Theory" vor "Music" soll als Hinweis gelesen werden daß Musik, trotz ihres abstrakten Charakters, auch über sehr konkrete politische, gesellschaftliche oder ökonomische Themen reflektiert. Im Licht der rasenden technologischen Entwicklung gilt dies wohl besonders für elektronische (oder digitale) Musik, die sich der ständig fortschreitenden Entwicklung von signalverarbeitender Hardware und Software bedient. Hand in Hand mit diesem über mehrere Jahre entwickelten Projekt ging die Beobachtung, daß die aufkommende, reifende "Techno Culture" sich als ideologiefreie Zone definiert hat. "Theory Music" steht im Spannungsfeld zwischen dieser inhaltsfreien Spaßkultur (wie sie von denen die sie praktizieren verstanden wird) und der über dieses kulturelle Phänomen reflektierenden Intellektuellen, die sich in einer Essay- und Interpretationsflut ausdrückt. Meine eigene Arbeit oszilliert zwischen diesen Polen. Ich bin fasziniert vom Beat der "Techno-Culture" und gleichzeitig sehe ich die Notwendigkeit zur Beobachtung und Interpretation der Substanz dieser Kultur. An kaum einem anderen Punkt der in immer unübersichtlichere Gruppen zerfallenden Gesellschaft, läßt sich der durch neue Technologien verursachte Wandel besser ablesen. Meine Musik, die Wahl der akustischen Bearbeitungen, die Techniken die ich zur Manipulation des Ausgangsmaterials verwende sind Reflexionen über diese Kultur. Der kleinste gemeinsame Nenner dieser zersplitterten Welt ist, wie es scheint, der Konsum. Das gilt auch für die mit unglaublicher Geschwindigkeit kommerzialisierte "Techno Culture". Was als Darstellung eines ohnehin nur moderat "anderen" Lebensgefühls beginnt, endet sehr schnell bei den Aufmärschen der diversen "H&M-isierten" "Parades". Die ideologiefreie Zone wird gefüllt mit Produkten, die idealerweise in einer gewissen "semantischen Unschärfe mit Ihrem Werbeslogan und dem damit projizierten Image existieren" (1), angefeuert durch einen Marketingkult, der zu "quasi-religöser Hingabe an verschiedene Produkte und Produktgruppen" führt (2). Wie Jacques Attali ausführt (3), lassen sich anhand von Musik und ihrer gesellschaftlichen und ökonomischen Stellung, Veränderungen, die sich nachfolgend in anderen Bereichen der Gesellschaft vollzogen haben, über einen historischen Zeitraum verfolgen. Massenproduktion, das Zurücktreten der Bedeutung eines Produktes zugunsten der Kontrolle von Vertrieb und Marketing, Transformation von Gegen- und Protestkultur zu Massenkultur, Verwandlung kultureller Diversität in leicht konsumierbare Uniformität: die Musik- und Unterhaltungsindustrie hat es vorgemacht... Auch in einer digitalen Ökonomie, die gerade beginnt Konturen anzunehmen, ist Musik in einer Vorreiterrolle zu finden. Seit dem Auftauchen der Compact Disk Mitte der 1980er Jahre entsteht Musik (fast) zur Gänze innerhalb der digitalen Domäne. Es überrascht daher nicht, daß Musik einer der Testpiloten für neue Online Vertriebs- und Konsumationsformen ist. Natürlich kann und will "Theory Music" nicht ein in sich konsistentes Bild dieser komplexen sozialen und ökonomischen Veränderungen geben. Als Bindeglied zwischen Elementen aus verschiedenen Welten, Schreiben und Sprechen, Sounds und Musik ist "Theory Music" ein Link zwischen verschiedenen Wahrnehmungsebenen und Kommunikationsknoten. Auch in Zeiten einer medienorientierten Kultur wird der Künstler als Beobachter, Kommentator und Transformator eine essentielle Rolle spielen. Dabei ist es sehr wichtig zu beobachten wie Künstler unter geänderten Bedingungen agieren, wie sie auf neue Technologien und reagieren und wie sie neue (und auch traditionelle) Medien für sich reklamieren. Auch das ist mit "Theory Music" gemeint . (1) Robert Adrian, The Real Thing, aus "Medienkultur", Memesis - Die Zukunft der Evolution, Ars Electronica 1996 (2) Norbert Bolz, Die Sinngesellschaft, Econ Verlag (3) Jacques Attali, Noise - The Political Economy of Music, University of Minnesota Press -- Bernhard Loibner ALL.QUIET bernhard@allquiet.org http://www.allquiet.org/ ____________________ "Komponieren ist ein Synonym für komputieren." 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