Bernd (by way of Pit Schultz <pit@icf.de>) on Sun, 9 Apr 2000 19:06:35 +0200 (CEST)


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[rohrpost] Börse mit Achterbahn





Hallo Liebe Liste,
Hier habe ich einen Artikel ueber die Boerse gefunden, bei dem auch einige
male ueber die Aktien von Internet Firmen die Rede ist (Auch von M$).

Das wuerde bestaedigen, was jemand in der liste gesagt hat (Ich weiss
nicht mehr wer das war) ueber die
Schwierigkeit aussschliesslich durch das WWW Geld zu machen, da kaum
Mehrwert geschaffen wir sondern nur so getan wird als ob: Das Resultat ist
eine spekulative Blase am Boersenhorizont. 
So habe ich jedenfalls den damaligen Beitrag verstanden.

Hier der Artikel von dem eingefleischten Marxisten Winni Wolf:
  
junge Welt:
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07.04.2000

Börse mit Achterbahn
Die Gefahr eines schwarzen Freitags am Horizont. Von Winfried Wolf
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Die »Financial Times« stellte an ihre Leserinnen und Leser die
rhetorische Frage: »Wie tief können die Aktien in Amerika, vor allem
die an der Nasdaq noch fallen? Gemessen an der Bewertung sicher noch
besorgniserregend tief.« Doch im Anschluß waren gleich Beruhigungen zu
hören, die an Tucholskys Aussage erinnerten, wonach wir von der
Weltwirtschaft wissen, »daß sie verflochten ist«.

Zweierlei wurde angeführt: »An der Börse gibt es oft so etwas wie eine
50-Prozent-Regel, wonach jede rasante Kursveränderung um 50 Prozent
zurechtgerückt wird.« Weiterhin gebe es »so etwas wie 200-Tage-Linien,
die sich oft als guter Widerstand nach unten erweisen.« Aber was ist
das schon - ein Auffangnetz, das nur »oft« existiert, und zwei
Schutzmechanismen mit dem Attribut »so etwas wie«. Im übrigen heißt es
im selben Artikel: »Jeder hat das Spiel mitgemacht ... Das konnte
nicht gutgehen.«

Spätestens hier ist klar: Bei einem »Spiel« gibt es keine Sicherheit,
daß das Ergebnis nicht auch der komplette Verlust, die Pleite sein
könnte. Im Fall des Börsenspiels wäre das ein Börsenkrach. Halten wir
uns also nicht mit eher lächerlichen »So-etwas-wie«-Regeln an der
Börse auf. Besinnen wir uns auf die folgenden fünf handfesten Fakten.

Erstens. Die Finanzwerte von Top-Unternehmen, die an der Börse
gehandelt werden, haben völlig abgehoben von der materiellen
Produktion, von dem, was in ihnen Beschäftigte erarbeiten bzw. was aus
ihnen an Mehrwert herauszuholen ist. Bill Gates' Unternehmen Microsoft
liegt weltweit auf Platz 1 bei der Börsenkapitalisierung (Wert der
Aktien zu aktuellen Kursen); 1998 war das Unternehmen 413 Milliarden
US- Dollar »wert«. General Motors hingegen lag im selben Jahr nur auf
Platz 98 dieser Welthitliste. Dabei liegt der Umsatz von General
Motors sechsmal höher als der von Microsoft.

Beim Vergleich mit der Beschäftigtenzahl ist das Verhältnis noch
krasser. Seit 1998 hat sich die Spanne zwischen Börsenkapitalisierung
für diesen Vergleich - aber auch für einen Vergleich mit
DaimlerChrysler - nochmals vergrößert. Diese sich ständig erweiternde
Kluft ist extrem gefährlich. Sie wird sich irgendwann gewaltsam
schließen. Und je größer die Kluft wird, desto größer wird dieser
Krach.

Zweitens. Die Börsen der »neuen Ökonomie« wie die Nasdaq in den USA,
an denen überwiegend die Aktien von Hightech-Unternehmen (z.B.
Internet-Firmen) gehandelt werden, sind von einer weit größeren Kluft
gekennzeichnet. Hier treibt das spekulative Fieber die größten Blüten.
So schreibt ein großer Teil der Internet-Firmen, die in den
vergangenen zwölf Monaten an die Börse gingen, rote Zahlen - dennoch
schossen ihre Kurse raketengleich nach oben. Doch diese Wechsel auf
eine rosige Zukunft können nicht aufgehen - zumindest nicht für die
Mehrzahl dieser Titel. Weswegen sich das jüngste Börsenbeben am
heftigsten an diesen »neuen Märkten« abzeichnete.

Drittens. Die Weltwirtschaft weist zwar weiterhin relativ hohe
Wachstumsraten auf. Auch konnten die Dellen, die die Asien-Krise
1997/98 geschlagen hat, zu einem größeren Teil wieder ausgeglichen
werden. Andererseits befinden wir uns am Ende eines außergewöhnlich
langen internationalen Zyklus, der Anfang der neunziger Jahre
einsetzte. Gründe für die lange Dauer dieses Zyklus sind vorhanden: In
den USA stellte das »Jobwunder« eine Senkung der Löhne und damit eine
Erhöhung der Profitrate dar; in der EU brachte die Euro- Abwertung
eine erhebliche Verbesserung der EU-Exporte in den Dollar-Raum (z. B.
nach Asien) mit sich. Vor allem aber wirkt die ständig ausgeweitete
Spekulationsblase als Stimulus für eine weitere Wirtschaftsexpansion.
Doch am Ende jedes Zyklus stand bisher noch immer eine Rezession oder
gar eine Krise.

Viertens. Im zweitgrößten kapitalistischen Wirtschaftszentrum, in
Japan, gab es keinen »langen Boom«. Diese Ökonomie erlebt seit 1993
eine Phase der Stagnation - obwohl kreditfinanzierte
Konjunkturprogramme im Wert von mehreren hundert Milliarden Mark in
die Ökonomie gepumpt wurden und obwohl der Diskont-Zinssatz sich seit
Jahren auf der Nullprozent-Marke bewegt. Die neue politische Krise
durch den krankheitsbedingten Wechsel des Premiers droht diese
ökonomische Misere neu zu akzentuieren. Es ist das erste Mal seit Ende
des Zweiten Weltkriegs, daß ein großes kapitalistisches Zentrum sich
aus einem weltweiten zyklischen Aufschwung komplett in die Stagnation
»verabschiedet«.

Fünftens. Seit Monaten ist festzustellen, daß die Nationalbanken - die
FED in den USA und die Europäische Zentralbank (EZB) - mit einer
kontinuierlichen Erhöhung der Zinsen auf ein Ende des Zyklus
vorbreiten. Daß es dabei zu einer »weichen Landung« kommen würde, wie
dies FED-Chef Greenspan erhofft, war schon immer der Wunsch
kapitalistischer Wirtschaftsplanung. Doch immer wieder erwies sich,
daß eben alles ein »großes Spiel« mit ungewissem Ausgang ist.

Wie gefährlich aufgebläht die Finanzblase an den Börsen ist, zeigte
die Reaktion auf den Richterspruch über Bill Gates wegen dessen
Monopol-Strategien. Am 4. April, dem Tag des Urteils, brach der
Microsoft-Kurs um 15 Prozent ein. Seit dem 23. März gab es gar einen
Rückgang um 22 Prozent. Damit liegen die Verluste bei der
Börsenkapitalisierung von Microsoft fast doppelt so hoch wie der
gesamte Börsenwert von General Motors - ein brandgefährliches
Verhältnis. Schon reden Experten ernsthaft von einem drohenden Fall
des Unternehmens Microsoft ins Bodenlose. So nah liegen Gewinn und
Verlust im Börsenspiel.

Microsoft, das neuerliche Beben an den Börsen und der beschriebene
materielle Hintergrund der kapitalistischen Konjunktur besagen aber
auch: Die Gefahren eines Börsenkrachs in Verbindung mit einer
weltweiten Wirtschaftskrise haben sich enorm vergrößert.

junge Welt




 
 




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