<bernhard loibner> on 31 Jul 2000 13:36:02 -0000


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[rohrpost] Die Leute wollen wissen was andere Leute denken


Die Leute wollen wissen was andere Leute denken
Radiostück von Tom Sherman & Bernhard Loibner aka Nerve Theory

Text: Tom Sherman
Sound: Bernhard Loibner

SFB Radio Kultur
Dienstag 1.8.2000
22:00 - 23:30
UKW 92,4 MHz (Berlin)

>>> http://too.quiet.to

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Die Leute wollen wissen was andere Leute denken

Tom Sherman, 1999

Es gibt tolle Gelegenheiten in den neuen Medien und
Informationstechnologien Geschäfte zu machen. Die digitale Kultur
entwickelt sich rasant mit atemberaubend schnell entstehenden neuen
Märkten.

Ich sitze hier mit einigen erfahrenen Informationsprovidern und Sie
reden über einige Projekte die sie in den alten Zeiten auf den Weg
brachten.....1995 war das, lange her. Einer von diesen
Informationsprovidern kam auf die Gegenwart zu sprechen, als er meinte,
dass die Zeiten, in denen wir gerade leben, unglaublich aufregend seien.
Dabei habe ich mir gedacht, dass wir eigentlich alle mit den Karten
spielen müssen, die wir ausgeteilt bekommen, dass das Leben kurz ist,
und dass alle Zeiten aufregend sind in denen man lebt.

Die Dinge bewegen sich schnell heutzutage, und daher muss man flink sein
- und es bleiben, wenn man überleben und sogar wachsen will. Egal ob du
ein Künstler oder ein Hacker bist, es ist einfach nicht genug Zeit um
Dinge richtig zu Papier zu bringen und zu erwarten, dass sie auch noch
realisiert werden. Bis du ein Konzept fertigschreibst und es diejenigen
erreicht, die es möglicherweise unterstützen, hat schon jemand anders
etwas aus deinen Ideen gemacht. Nichts hat so viel Erfolg wie der Erfolg
selbst. Geld ist schnell. Man braucht Geld um Geld zu verdienen. Viel
Geld wandert ins Internet. Alles wandert ins Internet. Musik, Fernsehen,
Filme, Kunst, Immobilien ? was einem so einfällt ? Inhalte werden in
Wellen in das neue Medium transformiert. Digitale Flutwellen. Es ist
einfach Geld in neue Medien zu investieren. Etwas daraus
zurückzubekommen ist eine ganz andere Geschichte.

Die erste Frage ist wie du die Surfer für deine Website interessieren
kannst. Wenn sie erst mal da sind, wie kannst du sie dort fesseln und
festnageln? Wie kannst du sicherstellen das sie nicht weitersurfen und
stattdessen tiefer in deine Website eindringen? Wie kannst du ihre
Ärsche an den Stuhl heften, auf dem sie immer sitzen müssen, wenn sie
surfen? Kannst du diese vorübergehende und totale, lähmende
Aufmerksamkeit geschäftsträchtig nutzen? Zu welchem Zeitpunkt kannst du
es dir leisten sie auf eine andere Site weiterzuleiten? Kannst du Ihnen
Dinge geben und sie so gestalten, als ob man sie anfassen könnte - Dinge
die deine Surfer wirklich wollen, oder sogar Leute die sie lebendig
kennenlernen wollen?

Mit Werbung allein kann man kein Geld machen. Werbung nur für sich
alleine ist im Internet schon gestorben. 1999 beliefen sich die
durchschnittlichen Kosten für Werbung im Web auf etwa 52 US Dollar pro
tausend Besucher. Man muss schon sehr viel Aufmerksamkeit erregen um
überhaupt mit Werbung Geld zu machen, und man kann das nicht auf Dauer
durchhalten. Also ist die Lösung Werbung mit dahinterstehendem
E-Commerce. Man lockt sie an zum Herumsehen und schickt ihnen die
Essenz, die ihr Verlangen stillt, direkt auf Ihren jeweiligen Sitzplatz.
Man muss Produkte oder Dienstleistungen im Angebot haben, die man auf
der Website verkaufen kann. Heutzutage funktioniert E-Commerce
hauptsächlich durch "click & ship", anklicken und verschicken, aber der
Versand wird mit der Zeit immer mehr durch direktes Downloading
verdrängt werden. Vergrößerte Bandbreite statt klobiger Kisten.
Natürlich wird es immer Dinge geben, die man nicht herunterladen kann.
Wo Bilder nackter Körper geradezu ideal zum Herunterladen sind, müssen
Prostituierte immer noch versandt werden.

Wie man sich vorstellen kann, ist die Gründung eines Unternehmens in den
neuen Medien ein riskantes Geschäft. Aber die Risiken kann man in
Grenzen halten. Schliesslich ist Management eine Wissenschaft.
Operations Research  und Organisationstheorie, die jahrzehntelang
erfolgreich in der traditionellen verarbeitenden Industrie Anwendung
fanden, werden jetzt beim Management von Firmen in den neuen Medien
effektiv angewandt. Durchgehendes Operations Research liefert die
Algorithmen, um schwierige Entscheidungen handhaben zu können, und es
sind gerade solche Entscheidungen, die im Handumdrehen und mit hohem
Risiko getroffen werden müssen. Die Organisationstheorie bietet eine
Reihe von horizontalen und nicht-hierarchischen Managementstrategien.
Angestellten kann man so ein Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit
geben, aber man kann sie auch in einer sehr ähnlichen Weise ausnützen
wie Unternehmen in den Neuen Medien ihre Kunden ausnützen, indem man
systematisch Verhaltensmuster beobachtet und das Vorhandensein oder die
Gewinnung von relevanter Information antizipiert und unterstützt. Die
Leute wollen wissen was andere Leute denken.

Dem Wettbewerb und den Kunden einen Schritt vorauszubleiben erfordert
erhebliche Anstrengungen in Forschung und Entwicklung. Horizontale, oder
organischere Managementstrukturen erlauben die Integration von Forschung
und Entwicklung in tägliche Dienstleistungs- und Herstellungsabläufe.
Teams, die emotional ausgeglichen und intellektuell stimuliert sind,
entwickeln neue Vorgehensweisen schneller und produzieren Inhalte wie
von selbst.

Firmen der Neuen Medien gehen täglich mit Kreativität um, und immer wenn
Kreativität angeregt wird, wird es Kostenüberschreitungen geben. Nehmen
wir mal die Programmierabteilung. Programmierer zu führen ist wie Katzen
zu führen. Was du vermeiden solltest ist Forschung und Entwicklung mit
einer Betonung auf die Forschung. Viel Glück. Wenn man denen freien Lauf
lässt, werden kreative Leute immer ihr Durcheinander vergrößern. Sogar
im besten Fall, den du dir vorstellen kannst, werden kreative Typen
immer die Anzahl der Verfahrensweisen erhöhen wollen, mit denen sie
dieselbe Sache durchführen können. Kreative Leute zu führen ist teuer.
Mässigung ist absolut notwendig. Mässigung ist nur durch Struktur und
offene Überwachung erreichbar. Die Leute wollen wissen was andere Leute
denken. Was du im Endeffekt erreicht haben musst, ist Forschung und
Entwicklung mit einer Betonung auf die Entwicklung. Das führt zu einem
Produkt . Die Entwicklung von etwas das die Leute benutzen können. Etwas
mit dem sie sich auseinandersetzen werden.

Das Geschäft der Neuen Medien wird von einer neuen Kultur der ständigen
Annehmlichkeit aufrecht erhalten. Jeder Netzwerkkultur geht es darum,
Verbindungen herzustellen und das zu bekommen, was man will. Sofort.
Alles auf der Welt ist potenziell in 24/7 verfügbar. Inhalt ist wichtig,
aber Inhalt ist nutzlos, solange Inhalt nicht einfach zugänglich ist und
es Spass macht ihn zu konsumieren. Die Schlüsselfigur in den neuen
Medien ist der Usability Architect . Erfolgreiche Firmen nähern sich
jedem Unterfangen zuerst einmal mit einer Brauchbarkeitsanalyse. Sie
verlassen sich von Beginn an sehr stark auf ihren Usability Architect.
Brauchbarkeitsfaktoren treiben die erste Entwicklung einer
Projektbeschreibung voran, das Ins-Visier-nehmen der Konsumenten und die
Bestimmung der Teilhaber. Mit der Festlegung der Anwendungsstruktur und
dem Schnittstellendesign wartet man nicht bis zum letzten Moment,
sondern bestimmt und kontrolliert das vom Beginn an bis zum Ende der
Entwicklung eines Projektes.

Vor dem eigenlichen Start müßen essentielle Fragen nach dem
physikalischen Speicherort, der zu erwartenden Benutzeraktivität und der
Wartung geklärt werden. Und, natürlich, was sind die Optinen für
E-Commerce? Hast du vor die Site aktuell zu halten und die Inhalte zu
erweitern? Wenn dem so ist, was tust du um die Benutzer an deine Site zu
binden? Der heutige User hat die Aufmerksamkeitsspanne einer Hausfliege.
Welcher Prozentsatz des Projektbudgets wird für das Updaten und die
Aktualisierung beiseite gelegt? Informationsauffrischung! Oder du willst
einen raschen Treffer landen und dann bald aufgeben. Du hast die Wahl.
In diesen frühen Stadien der Informationsära spielt es keine Rolle, ob
man aufgegebene Websites auf den Servern beläßt oder nicht, ob mit oder
ohne aktiver Adresse. Aus wirtschaftlicher Sicht hat sich die Frage der
veralteten Information, des digitaler Mülls also, noch nicht zu einer
problematischen Grösse entwickelt. Informationsmüllbeseitigung und
?recycling sind noch nicht gewinnbringend.

Es ist unbedingt notwendig, dass Informationsprovider über ihre Arbeit
aus dem Blickwinkel des Users denken. Ganz einfach ausgedrückt: “Was ist
das Projekt?“ Und, wenn du einen wasserdichten Vorschlag hast, wer ist
dein Anwalt und Wirtschaftsprüfer? Investoren werden immer Bürgschaften
haben wollen, wenn Projekte unsicher erscheinen. Die meisten werden
reales Kapital virtuellem Kapital gegenüberstellen wollen. Nichts hat so
viel Erfolg wie der Erfolg selbst. Vielseitige und gut eingeführte
Unternehmen und Firmen mit realem Kapital können sich in unsicheren und
ätherischen Gefilden schnell bewegen. Ideen sind kostbar. Stecke nie so
lange vor dem Wettbewerb Geld in Geschäfte, dass es aussieht als wäre
keine weitere Anstrengung mehr notwendig. Schweisskapital  ist ein
wichtiger Faktor, aber der reicht natürlich nicht, um einen Deal
abzuschliessen. Vermeide öffentliche Mittel. Sie sind zu langsam.
Professionelle Entwicklungsszenarien sind für Loser. Regierungen stellen
Marktunterstützung bereit, also Subventionen oder Darlehen um Budgets
aufzustocken. Oder sie verteilen Geld zum Überleben. Bürokraten tun nur
so, als seien sie im Geschäft, in Wahrheit bremsen sie die Dinge, denn
sie benutzen ihre politischen Instinkte nur um ihre Ärsche zu schützen.

Demos, Muster, Trailer - sie alle können entworfen und abgestimmt
werden, ohne dass man sonderlich auf Copyrights achten muss.
Ideenskizzen sind rasch gemacht. Klauen ist wichtig, wenn man schnell
und ohne Umweg mit seinem Projekt herauskommen will. Wenn du das im
Griff hast, läuft alles. Du weisst zwar verdammt gut, dass jedes
Copyright eigentlich Diebstahl ist; ein legales Gebilde, das nur dazu da
ist, um Newcomer zu behindern und abhängig zu machen. Aber wenn du mal
damit drin bist, wenn du irgendwas hast, das Eigentum auch nur ähnlich
sieht, dann gib deine Copyrights nie auf. Einführungen werden
danebengehen, Projekte werden umfallen, aber Copyrights sind Copyrights.
Erhalte immer deine Copyrights.

Die Industrie der Neuen Medien ist eine Industrie, die auf speziellen
Ressourcen beruht. Das Publikum wird angezogen, um ausgenutzt und
weiterverarbeitet zu werden. Websitebesucher werden angezogen und wie
Eier sortiert. Besucher werden in Portals , zu allgemeinen Kreuzungen
des Webs, gelockt. Diese Portals sind eine Art Treffpunkt oder
Einfüllstutzen und die Killeranwendungen der Portals ist immer noch
E-mail. Die Leute wollen wissen, was andere Leute denken. In den Portals
wird das Publikum in spezielle Gruppen unterteilt. Vortals. Vortals sind
vertikale Portals. Ein Vortal könnte vegetarische Rezepte oder eine
Chat-Verbindung für spezielle Themen anbieten, sagen wir mal Sex
zwischen erwachsenen Primaten, denen die Gliedmassen fehlen. Zwischen
solchen Inhalten und den Inhalten damit zusammenhängender Vortals können
Verbindungen und Analogien hergestellt werden. Und so können auch
Hortals, horizontale, laterale oder assoziative Vortals geformt werden,
womit man ein reizvolles Gewirr zwischen Vortals erreicht. Entscheidend
ist immer, wo sich die Sache abspielt. Die Idee bei der ganzen Sache
besteht darin, Leute zu fassen und sie festzuhalten, ohne sie wissen zu
lassen, dass sie schon in diesem System verfangen sind, was dazu führt,
dass sie sich immer in einer Schleife bewegen. Firmen, die Portals,
Vortals und Hortals betreiben, formen Gemeinschaften und stehen
zueinander in Beziehung. Wenn ein Portal einen User zu einem Vortal
schickt, dann erwartet das Portal für diese Überlassung vom Vortal eine
Entschädigung, und umgekehrt, usw….

Die Leute sammeln Inhalt an. Sie vermischen das, was an diversen
Schauplätzen abgeht und machen so aus kleinen Stücken von diesem und
jenem etwas Ganzheitliches. Sie bringen die unterschiedlichen Formen und
Stile zusammen, es entsteht immer etwas Neues daraus. Sie nehmen
sterile, leere minimalistische Landschaften und mischen eine ganze neue
Welt zusammen, und machen so die Dinge wie von selbst komplex und
ganzheitlich. Sammler bauen die Welt von Anfang an, immer wieder und
wieder. Sie erschaffen einen Wert, indem sie die Mischung erneuern oder
aktualisieren ? aus der Sicht des Users den Fix. Ihr Geschäft ist das
ständige Auffrischen der Realität.

Für alle Nutzer ist - seltsamerweise - immer noch E-mail die wichtigste
Anwendung. Jeder scheint sich dabei auf die englische Sprache
einzulassen. Sie ist ein tödlicher Virus, eine Plage auf fremden Zungen.
Die anderen Sprachen werden aufgegeben, die Menschen wenden sich in
Scharen der englischen Sprache zu, und sie dünnen sie aus und ruinieren
sie durch einen ganz eigenen, brutal pragmatischen Stil. Im Interesse
der globalen Kommunikation läßt sich jedermann auf das Englische ein, es
wird zur Basis für einen neuen Formalismus. Wenn du darüber genauer
nachdenkst, wird die englische Sprache selbst zum Inhalt. Es ist egal
was die Leute schreiben. Die Sprache ist alles, was du nach einer Weile
sehen kannst. Und das Web ist selber beschränkt. Es ist eine
fürchterlich steife und ungelenke Ansammlung aufs rein Technische
beschränkter Designmodule, die die Kreativität auf nichtssagende
Zuckungen reduziert, was nur zu oft als Verhaltensstörung interpretiert
wird. Das Englische gehört zum herrschenden Medienszenario wie Video
oder das Web. Diese Medien sind allgegenwärtig,  gewöhnlich und
praktisch für alle offen, um darin zu investieren. Da entsteht eine in
sich geschlossene Welt, eine Welt der Vereinheitlichung, des Verlustes
von Vielfalt, des Anpassungsdrucks und der Nivellierung ? aber auch eine
Welt des Gewinns, des Profits, die Vertrautheit einer geteilten,
bekannten Realität.

Manchmal widerspricht es der Logik, was man alles lizensieren kannst. Du
kannst dir für alles mögliche eine Lizenz geben lassen. Vergiss nur
nicht deine Copyrights zu behalten. Die Medien werden kommen und gehen,
aber Material wird immer aufs Neue wiedergeboren, wie ein Schwamm in
Wasser. CD-ROMs, vor ein paar Jahren noch der letzte Schrei, sind tot.
Die Eltern der Kids müssen etwas kaufen. Wenn man so darüber nachdenkt,
realisieren DVD-ROMs das Versprechen von CD-ROMs. Da man alles
herunterladen kann, ist das Videoband tot, die Produktion ist aber immer
noch kostendeckend. Special effects sind kaum noch special. Ein 40
Millionen teurer Film mit Computeranimationen aus der Mitte der
Neunziger Jahre kann jetzt für sechs Millionen produziert werden,
vielleicht auch für weniger.

Der Schlüssel zu den neuen Medien ist deren Interaktivität und die Basis
für diese Interaktivität ist gleichzeitig Auslöser und Effekt. Physik
bestimmt Verhalten. Klicken und schauen, klicken und verändern. Melde
deine Stimme an. Drücke dich aus indem du das, was du willst aus einem
Feld von Möglichkeiten auswählst. Richtiger E-commerce besteht aus dem
Ausnutzen von Daten, deren Begutachtung und der Entwicklung einer
User-base als Informationsschatz. Du kannst die Informationen über die
Vorlieben deiner User und ihr Verhalten gegenüber Inserenten,
Marketingagenturen, Polizeibeamten und Eltern zur Ware machen. Die Leute
wollen wissen was andere Leute denken.

Unser Web-basierter Radiosender und Plattenladen bringt in Echtzeit
einen Strom von Profilen von Usern hervor. Unsere User sind verbunden
und interagieren, während unsere datenschröpfenden Klienten neue
Produkte und Dienstleistungen organisieren - zum praktischen Nutzen, in
Echtzeit.

Unsere datenschröpfenden Vorgänge konzentrieren sich im Moment auf
24jährige. Das ist die Goldader in Sachen Demografie. 24jährige sind die
Trendsetter. Wir zielen mit Simulationen oder anderen Vermischungen von
Tatsachen und Fiktionen auf ein Publikum, das mit dem Web umgehen kann.
Information als Unterhaltung. Die Nachrichten mit Musik dargeboten,
richtiger, harter Musik. Die wichtigste Stosskraft unseres Inhaltes ist
die fortwährend erneuerte Fantasie. Mit dem Kleinkindermarkt ist das
einfach. Dinosaurier, die in einer freundlichen Weise mit Säugetieren
zusammenleben, solche wie wir, sind sehr populär.

Das Geschäft der neuen Medien zeigt weiterhin Anzeichen eines
absteigenden Trends beim demografischen Zielpublikum. Das ultimative
Publikumssegment ist der Siebenjährige. Das Ziel der Industrie ist es,
kleine Kinder zu verführen, zu manipulieren und auszunützen, und als
Erweiterung ihre Eltern. Das sind pädophile Tendenzen im Bereich der
neuen Medien. Sie zielen mit ihren Projekten, die sie verniedlichend
“ihre Babies“ nennen, auf den Kleinkindermarkt. Sie sprechen von noblen
Absichten, indem sie Spiele ausserhalb von Schlachtfeldern ansiedeln,
oder sie geben den Erfindern von Spielen den Auftrag, etwas zu
entwickeln, was auch für Mädchen wie für Erwachsene und sogar für
Senioren geeignet ist. Als eigentliches Ziel wollen sie die Börse für
Prä-teenager öffnen.

Neu entstehende Märkte im Internet werden traditionelle Märkte ersetzen.
Die Märkte bestimmen was zu tun ist. Publikumsvorlieben oder Userprofile
werden schliesslich an die User selbst zurückverkauft. Den Leuten muss
gesagt werden, was sie sich wünschen, was sie brauchen. Denn sie wollen
ja alles, aber haben eingeschränkte Mittel. Sie müssen wissen, wem sie
ähnlich sehen und mit wem sie wahrscheinlich zurechtkommen werden. Sie
werden wissen müssen, dass sie auf ihre eigene Art wertvoll sind. Ich
bin ausnützbar … ich bin ausgenützt … deswegen bin ich.

Es gibt eine ganze Industrie, die sich darauf gründet, missratenen,
unattraktiven, leblosen Inhalt aufzumöbeln. Wir werden die Navigation
elegant machen und die Website einfach zu benutzen. Wir werden sie hip
aussehen lassen, respektlos, kantig, supermodern .... Wenn wir damit
fertig sind, wird deine Website für 24jährige interessant sein.

Letzen Endes reden wir über Nutzen für Verbraucher. Das Umwandeln und
Einstellen der Inhalte von Film und Video und von jedem anderem Medium
unter der Sonne in das Web ist nicht wirklich der Mittelpunkt unserer
Aktivitäten. Unsere wesentlichere Zielsetzung ist die Schaffung von
Nutzen für Konsumenten und in der Folge das Beobachten ihres Verhaltens,
während sie diesen Nutzen geniessen. Der User ist der Inhalt jeden neuen
Mediums.

Ist der den Inhalt unterstützende, nichtlineare, interaktive Aufbau die
essentielle Substanz des Webs? In einer Kultur der Annehmlichkeit, wo
Navigation und Nutzen die Inhalte in den Schatten stellen, wird der
‚Inhalt‚ wahrscheinlich nicht mehr sein als eine lahme Entschuldigung,
um die Freiheit zu Navigieren und eleganten, zufriedenstellenden Nutzen
zu geniessen. Eine Analogie dazu: das Sportgerät, mit dem man durch die
Landschaft rast, macht selbst mehr Spass als die Landschaft, die es
möglicherweise sogar zerstört.

Die Navigation hat nicht nur den Zweck, User effizient und effektiv
durch das Inhaltslabyrinth zu bewegen. Sie gehorcht Konventionen und
gewinnt als Prozess kulturellen Wert. Ästhetik ist das Bindemittel
zwischen Form, Prozess und Inhalt. Nuancen und subtile Wendungen und
Drehungen akkumulieren sich zu einer gleichsam  realen Substanz.
Analogien und Metaphern werden kontinuierlich im Prozess des
Informationsaustausches neu geschaffen. Warum ist die Diskussion über
Ästhetik tabu, wenn Parteien versuchen Geld aufzutreiben, um ein Projekt
der Neuen Medien zu unterstützen? Wann werden ästhetische Gesichtspunkte
offen von der neuen Medienbranche diskutiert werden? Schliesslich will
man ja wissen, was andere Leute denken, über dieses, über jenes und das
andere Ding.

Übersetzung aus dem Englischen: Patrik Simek

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