Krystian Woznicki on 17 Aug 2000 09:24:56 -0000 |
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[rohrpost] Jungle World |
Hi, heute erschien ein Text über Jungle World (www.jungle-world.com) von Andreas Busche in SZ (siehe unten), etwas früher anlässlich des dritten Geburtstags "Hoffnungslos, aber dialektisch ertragreich" von Jens Balzer in der Berliner http://www.BerlinOnline.de/aktuelles/berliner_zeitung/feuilleton/.html/07artik03.html Gruss Krystian ? Ein Dschungel! Zehn Jahre Einheit (III) – Über die Wochenzeitung „Jungle World“ und ihren linken Hedonismus Das Neue Deutschland. Die Junge Welt. Freitag. Ein kurzer Blick in das Jammertal, in dem sich linke, aus dem Osten stammende Publikationen momentan befinden, wirft vor allem die Frage nach dem praktischen Nutzen jener Blätter auf. Die traditionellen Ost-West-Diskurse sind trocken gelegt, die Leserschaften altern schneller, als die Redaktionen mit ihren Jubiläen hinterherkommen, und die Intervalle der verzweifelten Spendenaufrufe werden auch immer kürzer. Noch nie war es in Deutschland schwerer, links zu sein. Im Westen steht dem Genossen eine ideologisch verhärtete Front ultralinker Kleinstparzellen und bolschewistischer Sektierer gegenüber. Zu einer immanenten Lustfeindlichkeit gesellt sich die fundamentale Unfähigkeit, vorsintflutliche Denkschemata hinter sich zu lassen. Zehn Jahre Deutsche Einheit haben die Befindlichkeiten der West-und Ost-Linken schwer erschüttert. Für sie gibt es nur wenig zu lachen. Die Wochenzeitung Jungle World wirkt in dieser tristen linken Presselandschaft wie ein schillernder Paradiesvogel. Sollte es in Deutschland so etwas wie eine hedonistische Linke geben, dann sitzt sie im dritten Stockwerk eines kleinen Gewerbehofs in Berlin-Kreuzberg. Hier residiert die Redaktion der Jungle World auf einer 253 Quadratmeter großen Büro-Etage. Gebotener Unernst Die Lockerheit, die in der Redaktion herrscht, ist für linke Publikationen eher ungewöhnlich. Sie macht sich auch wohltuend in der graphischen Gestaltung der Zeitung bemerkbar – eine Eigenschaft, die Jungle World- Leser an ihrer Wochenzeitung besonders schätzen. In dem Dossier „Überleben im Dschungel“ anlässlich des dreijährigen Geburtstags des Blattes, der kürzlich in der Bergmannstraße gefeiert wurde, reflektierten die Jungle World-Macher den Wert ihrer Zeitung mit der ihnen eigenen Selbstironie: Für eine kleine Fotostrecke zweckentfremdeten sie diverse Jungle World-Titelblätter ganz säkular als Verpackungsmaterial oder Sonnenschutz. Soll heißen: Solange der ideologische Gehalt einer linken Tages- oder Wochenzeitung nicht stimmt, ist sie nicht mehr wert, als das Papier, auf dem sie gedruckt wird. Der gebotene Unernst hat für die Jungle World-Redaktion aber auch ganz pragmatische Gründe. In einem frühen Interview hat Mitherausgeber Klaus Behnken einmal betont, dass Satire immer auch etwas mit Linkssein zu tun habe – weil sie Distanz deutlich mache. Statt eines strikten Politblättchens wolle die Redaktion eine Zeitung machen, die Vergnügen bereite. In erster Linie ihr selbst. Diese Kompromisslosigkeit passt zu dem Ruf, den die Jungle World auch im dritten Jahr ihres Bestehens in der Branche geniesst: Sie gilt als Zeitung, die es nach ökonomischen Maßstäben eigentlich gar nicht geben dürfte. Das hängt nicht zuletzt mit ihrer Entstehungsgeschichte zusammen, die man als einen Abgesang auf den wilden Osten lesen kann, die aber genauso viel mit der jüngeren Geschichte der deutschen Linken zu tun hat. Denn die Jungle World ist eine Abspaltung des früheren FDJ-Organs Junge Welt. Die innere Zerreissprobe entlang politischer und organisatorischer Differenzen gipfelte vor drei Jahren in einem in der bundesdeutschen Pressegeschichte einmaligen Eklat: Am 21. Mai 1997 besetzten 21 Redakteure die Büros der Jungen Welt mit der Forderung an Geschäftsführer Dietmar Koschmieder, seinen Posten unverzüglich zu räumen. Vorausgegangen war der Besetzung die Entlassung von Chefredakteur Behnken durch Koschmieder. Letzterer, selbst Wessi, hatte auf Grund der damaligen Entwicklung der Jungen Welt den Verlust ihrer „Ost-Identität“ befürchtet. Dem versuchte er durch die Aufstockung der „Ost-Themen“ in einem neuen Redaktionsumfeld entgegenzutreten. Aus der damaligen Streikzeitung ging kurze Zeit später die Jungle World hervor. „Im Grunde“, sagt Jungle World-Geschäftsführer Ferdinand Muggenthaler heute, „ist unsere Entstehungsgeschichte ein Beleg dafür, dass die Ost-West-Wahrnehmung viel wichtigere inhaltliche Konflikte verdeckt. Letztlich spiegelte sich in der Suche nach einer Ost-Identität in der Jungen Welt ja nur eine andere Form von Nationalismus wieder – von dem distanzieren wir uns in jeder Form. “ Die frische, von traditionell linken Dogmen unbefleckte Haltung der 28 (!) Jungle World-Herausgeber hat natürlich Folgen. Zwar rekrutiert sich die Leserschaft zu immerhin knapp einem Viertel aus der Zielgruppe der 16- bis 22-Jährigen, aber nur 10 Prozent der 15 000 Stück starken Auflage verkauft sich in den Neuen Bundesländern. Die Zeiten des Klassenkampfes sind vorbei. „Wir wollen keine Glaubensbekenntnisse liefern“, stellt Muggenthaler klar, „es kann nicht unsere Aufgabe sein, die Linke zu einen. Wir fungieren als Nachrichtenmagazin, das Informationen aus jenem kritischen Blickwinkel liefert, zu dem der Mainstream nicht mehr fähig ist. “ Die Jungle World richtet ihr Augenmerk besonders auf das europäische Ausland – im Blatt schlägt sich diese Blickrichtung in einem eigenen Euro-Ressort nieder. Einmal im Jahr produziert die Berliner Redaktion eine komplette Ausgabe im Ausland, um sich aus dieser Perspektive ein Bild von der Entwicklung der EU und Deutschlands machen zu können. Inzwischen greift die Jungle World auch auf ein umfangreiches Netzwerk von Korrespondenten in aller Welt zurück – teils profilierte Journalisten, teils politische Aktivisten. Überraschte Blattmacher Dieses parallele Informationsnetzwerk halten die Blattmacher für ihr wertvollstes Kapital, um Nachrichten liefern zu können, die noch nicht durch die grossen Nachrichtenagenturen „vorformatiert“ wurden. Viele Autoren der Jungle World sind keine ausgebildeten Journalisten, das erhöht den Arbeitsaufwand in der Redaktion. Der Gewinn sind für die Jungle World-Macher Nachrichten und Hintergrundberichte, mit denen ihre bürgerliche Konkurrenz nur selten dienen könne: sei es über den neuen „gesetzlichen Rassismus“ auf den Fidschi-Inseln oder eine türkische Frauenfussballmannschaft in Berlin. Ein Novum auf dem deutschen Zeitungsmarkt ist die regelmässige Antifa-Seite der Jungle World. Für Rassismus im vereinigten Deutschland ist man in der Jungle World nicht nur zu Sommerloch-Zeiten sensibilisiert. Die Jungle World verfolgt das Phänomen bereits seit ihrer Gründung von Ausgabe zu Ausgabe – mit einiger Hartnäckigkeit und bis in die tiefste Provinz. Dass sich das Blatt in seinem dritten Jahr besser verkauft als je zuvor, überrascht die Blattmacher selbst am meisten. Seit sich in den 90er Jahren feste linke Milieus langsam auflösten oder weiter parzellierten, lässt sich die Zielgruppe einer Zeitung wie der Jungle World nur noch schwer kategorisieren. Eine ideale Voraussetzung, findet Redakteur Anton Landgraf. Die Jungle World will a priori kein strategisches politisches Konzept vorgeben. Der letzte linke Student, eine Kunstfigur des Blattes, dem stereotypen linken Denken der 70er und 80er Jahre nachempfunden, würde sich zwischen den verschiedenen koexistierenden Positionen bloß verlaufen wie im Dickicht eines Dschungels. „Genau darauf will unser Name ja auch hinaus,“ bestätigt Landgraf. „Nur gibt es in unserem Dschungel eben keinen Tarzan. “ ANDREAS BUSCHE ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost