Krystian Woznicki on 5 Sep 2000 11:26:12 -0000


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[rohrpost] Berliner Gazette, 06.09.


Tanz mir die soziale Sicherheit
oder: "Aufruhr im Land der 1001 rasanten Fahrgeschaefte."

Hannover, Expo2000, Themenpark, Halle 4: Zukunft der Arbeit, der 
Mobilitaet, des Wissens. Im Innern ein gewaltiger Zylinder, in den man sich 
ueber eine spiralfoermige Rampe vorarbeiten muss. Vorbei an den Plakaten 
der Sponsoren: Deutscher Gewerkschaftsbund, Deutsche 
Angestelltengewerkschaft, Bundesanstalt fr Arbeit, Adecco. Adecco? 
Eintraechtig nebeneinander haengen die Poster der Gewerkschaften und des 
staatlichen Ex-Arbeitsvermittlungsmonopolisten und der Zeitarbeitsfirma, 
die auf der Weltausstellung in Hannover die Dienstleistungszentren mit 
Arbeitskraeften bestueckt. Oder auch nicht.

An den Innenwaenden des Zylinders Gerueste aus Stahl, 
Baustellenatmosphaere. In drei Etagen Taenzerinnen und Taenzer im 
Scheinwerferlicht, vor Leinwaenden und blauen Waenden. Von dort kann ihr 
Bild mit einer Videokamera auf die gegenueberliegende Seite projiziert und 
mit einem neuen Hintergrund versehen werden  so wie die Weltkarte hinter 
Dagmar Berghoff erscheint. Die Taenzer tragen Overalls, Latzhosen, 
Blaumaenner: Arbeitskleidung eben. Hinter ihnen zeigt das Video, wie 
asiatische Polizisten mit Knueppeln auf einen wehrlosen alten Mann 
einschlagen. Warum? Wer weiss. Es hat wohl etwas mit Arbeit zu tun, die er 
verrichten will oder nicht.

Die BesucherInnen stehen oder sitzen in der Mitte, getanzt wird an den 
Raendern, um sie herum. Im Faltblatt zur Inszenierung steht dazu : "Die 
Zukunft der Arbeit bedeutet Veraenderung, und diese Veraenderung beginnt im 
Kopf des Besuchers!" Ausrufezeichen. Und: "Die Zukunft der Arbeit ist die 
Zukunft des Besuchers!" Ausrufezeichen. Hier verpasst niemand das wirklich 
Entscheidende. "Neun Taenze der Arbeit beschreiben in grossen Bildern, was 
wichtig ist, wenn man von der Zukunft der Arbeit redet": INFORMATISIERUNG, 
GLOBALISIERUNG, NETZWERKARBEIT, FLEXIBILITAET UND MOBILITAET, UMWELTSCHUTZ, 
GESUNDHEIT UND SICHERHEIT, SOZIALE SICHERHEIT, MENSCHEN MIT BEHINDERUNGEN, 
ALLTAGSLEBEN  alles in Majuskeln, alles unverkennbar bedeutend.

Aber wie tanzt man soziale Sicherheit (oder, in diesem Fall: SOZIALE 
SICHERHEIT)?

Mit einem schwarzen Kasten in der Hand, auf dem in roten Lettern Stichworte 
von rechts nach links laufen. Solidarity steht dort, Participation, 
Sickness Benefits, Social Economy, Discontinuous Careers, Continuous 
Income. Wie schoen.

Von ungefaehr 4000 Mitarbeitern, die Adecco fuer die Expo angeheuert hat, 
wurden mehr als 2000 bereits wieder nach Hause geschickt. Ohne continuous 
income, aber sehr flexibel. Wegen des Besuchermangels. Die Zukunft der 
Arbeit hat laengst begonnen.

Matthias Spielkamp, freier Journalist
mailto:spielkamp@compuserve.com

0. http://www.etoys.com/prod/toy/52620521pi
0. http://www.etoys.com/prod/toy/52620441pi
6. http://www.nabear.com/plush/baby/sheadbunblank.html
4. http://www.safaripark.de/flash.htm
4. http://www.playcastle.com/about/impressions.html

Fuer die kommenden Tage sind folgende Termine in Deinen Kalender aufzunehmen:

Mi - 06.09.

L a d e n e r o e f f n u n g : Zu einem exklusiven Cocktail laden zwei 
Modeverrueckte aus Hamburg ein, um ihre Hauptstadt-Dependence einer 
auserwaehlten Mikrooeffentlichkeit der Berliner Gazette LeserInnen 
vorzustellen. Blindenschuhe von Nike, Papstroben von Versace in der 
Schlangenlederausfuehrung, Muellabfuhrklamotten von Boss, Christie 
Turlingtons Yoga-Schuh-Kollektion fuer Puma, KKK-Kuten von Comme des 
Garcons - kurz: alles, was das Herz begehrt. Ort: rawmanagement 
(http://www.rawmanagement.com), Mehringdamm 72, 10961 Berlin, 19 Uhr.

Do - 07.09.

C h o p p e r T V : Es gibt Sammler, die sich auf eine einzige Sache 
spezialisieren. Ob eine bestimmte Gattung japanischer Comics, tropischer 
Palmen, Star Wars-Figuren, oder Christusportraits - je enger der Fokus, 
desto groesser die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung. Hier beginnt das 
Sammeln in Abweichungen. Manch einem tritt dabei ein 
pseudo-wissenschaftliches Ziel vor Augen, denn je umfangreicher das Archiv, 
desto vielsagender das Denken in Mustern. Heinrich Dubel ist ein solcher 
Archivar. Sein Forschungsgegenstand ist der Hubschrauber. In einer eigens 
fuer den Offenen Kanal Berlin produzierten TV Show kanalisiert er nun seine 
Bemuehungen, das Bild des Hubschraubers zu untersuchen. Im Internet unter 
http://www.kulturserver.de/tv, 24 - 2 Uhr.

Sa - 09.09.

V e r n i s s a g e : "Als wir auf Lipari ankommen, erfahren wir" schreiben 
Nina Fischer und Maroan el Sani in ihren Arbeitsnotizen zur aktuellen 
Ausstellung, "dass Michelangelo Antonioni am Vortag selbst da war. Zum 40. 
Jahrestag ist ein Buch ueber den Film und die Dreharbeiten von LAvventura 
erschienen. Sein Film wurde im Freiluft-Kino gezeigt, das Buch vorgestellt. 
Am Abend desselben Tages treffen wir ihn zufaellig in der Eisdiele 
Avantgarde. Wir stellen uns vor und erzaehlen ihm von unserer Idee. Er muss 
laut lachen und laedt uns zum Eis ein." Ort: Galerie Eigen + Art 
(http://www.eigen-art.com), Auguststr 26, ab 19 Uhr.

Bis naechste Woche,

Krystian Woznicki
mailto:krystian@snafu.de

PS: Wer die Ziffernfolge der dieswoechigen url - Liste, mit den Websites 
selbst und der Kolumne von Matthias Spielkamp in einen gnadenlos logischen 
nicht minder verwegenen Zusammenhang stellen kann - fuer den, oder die 
winken Preise. 1) der scharfzuengigste Beitrag wird in der kommenden 
Ausgabe als Kolumne veroeffentlicht. 2) "Tanz mir die soziale Sicherheit" 
kommt als DAF-Version frei Haus. 3) gemeinsam mit Berlins regierenden 
Buergermeister Eberhard Diepgen und Senator Wolfgang Branoner nach Prag und 
Budapest fahren und dort die 25 fuehrenden Branchenunternehmer aus der IT- 
und Softwareszene (u.a. den CEO von Graphisoft) treffen. Wer sich auf die 
intellektuelle Schnitzeljagd (A) macht, sollte etwas Proviant (Z) mitnehmen.

A. http://www.wired.com/news/print/0,1294,38547,00.html
Z. http://www.BerlinOnline.de/aktuelles/berliner_zeitung/.html/02artik70.html

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Ulrike Rogler
Anne Schreiber
Krystian Woznicki (V.i.S.d.P.)

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