Krystian Woznicki on 11 Sep 2000 10:05:27 -0000


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[rohrpost] Fwd: computer-sokratiker



>folgende schöne rezension unserer gotthard günther cd erschien freitag in 
>der taz...
>
>herzlichen gruss,
>klaus sander
>
>----------------------------------------
>
>Computer-Sokratiker
>
>  Eine Einführung per Audio-CD in die Thesen des luziden 
> Informatikphilosophen Gotthard
>  Günther
>
>  "Hutzelig" soll Gotthard Günther gewesen sein. Als Skifahrer und 
> Segelflieger war er
>  Spezialist für Fortbewegung auf gleitenden Grundlagen. Dabei muss es ihm 
> in Fleisch
>  und Blut übergegangen sein, dass es die Umgebungen - oder philosophisch 
> gesagt, die
>  Kontexte - sind, die über Gelingen oder Nicht-Gelingen einer verfolgten 
> Methode
>  entscheiden. Die Theorie der Rechenmaschinen war für ihn eine 
> wissenschaftlich
>  plausible Möglichkeit, die Grenzen zwischen Geistes- und 
> Ingenieurwissenschaften
>  aufzuheben. Der Begriff Kybernetik bezeichnet diese neue 
> Einheitswissenschaft der
>  Steuerungsmechanismen und logischen Verschaltungen von Menschen, 
> Computern und
>  Systemen überhaupt.
>
>  Die Audio-CD "Lebenslinien der Subjektivität" ist nun eine Gelegenheit, 
> die Thesen
>  des ungewöhnlichen Philosophen kennen zu lernen, durch schlichtes 
> Zuhören. Dabei
>  entdeckt man, wie Günther Science-Fiction-Literatur, Standortfragen und 
> Hegels Logik
>  zusammendenken konnte.
>
>  Heinz von Förster, Günthers berühmterer Kollege, ist ebenfalls auf der 
> CD zu hören.
>  Er schildert knapp seine erste Begegnung mit dem deutschen Emigranten, 
> der 1900 in
>  Schlesien geboren wurde, über Südafrika in die USA floh, in den 
> Siebzigerjahren nach
>  Deutschland zurückkehrte und 1984 in Hamburg starb. Von Förster fasst 
> Günthers
>  Idee der kontexturalen Logik bündig zusammen. Üblicherweise spekuliere 
> die Logik
>  abstrakt über den Wahrheitsgehalt von Sätzen und nehme dazu trockene 
> Beispiele wie
>  "Sokrates läuft". Günther gehe nun davon aus, dass der logische Wert 
> eines Satzes nicht
>  abstrakt entschieden werden kann. Es müsse zunächst gefragt werden, ob 
> jemand
>  überhaupt wissen möchte, dass Sokrates läuft. Diese Frage sei nicht 
> generell mit Ja
>  oder Nein beantwortbar.
>
>  Das bedeutet für Günther jedoch nicht, dass man die traditionelle 
> philosophische
>  Literatur beiseite lassen kann. Für ihn bietet gerade die Philosophie 
> Hegels und Kants
>  einen gewissermaßen deutschen Standortvorteil. Nach Günther sind Fragen der
>  Kybernetik bereits bei beiden vorgedacht, und deshalb kann jeder 
> aufmerksame Leser
>  ihrer Schriften am Bau von Rechenmaschinen mitwirken. Diese Überzeugung 
> trägt
>  Günther 1965 unter dem beeindruckenden Titel "Transzendentalphilosophische
>  Grundlagen der Kybernetik" vor und drückt die Sorge aus, dass die deutsche
>  Gelehrtenrepublik diese Chance verstreichen lassen könnte. Wie richtig 
> sein Verdacht
>  war, erkennt man, wenn nun - 35 Jahre später - die Aufholjagd 
> Deutschlands und
>  Europas gegenüber der US-amerikanischen Informationswirtschaft beginnen 
> soll.
>
>  Im Booklet der CD sind Buchumschläge der Science-Fiction-Romane "Ich, 
> der Robot",
>  "Der unglaubliche Planet" und "Wing 4" abgebildet. Denn Günther 
> beherrschte außer
>  dem Werkzeug philosophischer Begriffe auch die Klaviatur populärer
>  Formulierungen: 1951 fungierte er als Herausgeber der "Weltraum-Bücher" im
>  Rauch-Verlag in Düsseldorf. Als solcher war er überzeugt, dass die 
> Konzepte der
>  automatischen Steuerung von Maschinen nicht als "fertige Daten" in das 
> allgemeine
>  Bewusstsein dringen, sondern zunächst als mythologische und fantastische 
> Bilder ihre
>  Bahn nehmen.
>
>  Heikel ist manchmal die sinnliche Vermittlung Günthers. Einigen Tracks 
> der CD liegen
>  private Aufnahmen zu Grunde, die mit einem schlichten Kassettenrekorder
>  aufgezeichnet worden sind. Der Kontext des Gesprächs - ein naher 
> Flughafen und
>  Geräusche aus der Nachbarschaft - kommt hier vernehmlich zur Geltung, 
> zugleich
>  wird die Vergänglichkeit der magnetischen Speichertechnik deutlich. Von 
> zahlreichen
>  Kassetten und Originaltonaufnahmen Günthers sind nur noch wenige mehr 
> schlecht als
>  recht abspielbar. Der Großteil wird wahrscheinlich für immer verloren 
> sein. Das ist
>  tragisch, weil Günther neben den bekannteren Pionieren der 
> Computertheorie wie
>  Shannon, von Neumann und Wiener die Nachwelt beschäftigen wird. Spätere
>  Generationen werden fragen, warum man ausgerechnet im multimedialen 
> Zeitalter so
>  wenig Wert auf die Konservierung der technischen Aufzeichnungen gelegt 
> hat, mit
>  denen die Computer-Sokratiker ihre Gedanken festhielten.
>
>  Günthers wissenschaftlicher Nachlass befindet sich in der 
> Staatsbibliothek Preußischer
>  Kulturbesitz sowie im Gotthard-Günther-Archiv an der Universität Salzburg.
>  Vielleicht sind dort noch Bemerkungen zur digitalen Spaltung der 
> Gesellschaft zu
>  entdecken und anderen Themen, die die aktuelle Standortpolitik 
> bestimmen. Bei
>  Beratungen über die deutsche Computerkreativität können Dokumente aus 
> Günthers
>  Hinterlassenschaft noch immer mit wohl überlegten und langfristigen 
> Perspektiven
>  dienlich sein. NILS RÖLLER
>
>  Gotthard Günther: "Lebenslinien der Subjektivität", Audio-CD, 77 Min., 
> supposé, Köln
>  2000, 38 DM
>
>
>
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