BerlinLounge on 13 Sep 2000 11:15:04 -0000


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[rohrpost] ***Die Masche mit dem Netz***


Liebe Rohrpostler!

Den folgenden Artikel aus der heutigen Ausgabe der S.Z. findet Ihr online unter

http://www.sueddeutsche.de/feuilleton/news/000913feu_kniebe.html 

Abstract:::
Der Text passt in eine Reihe von Beitraegen zur Entstehung eines *Medienlumpenproletariats* (vgl auch Nullfreizeit.de, Zeit Leben)im Nullsummenspiel New Economy, die sich in diesen Tagen durch die Blaetter zieht.

Gruss:::Stefanie Grupp

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SZ vom 13.09.2000 Feuilleton:::
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Die Masche mit dem Netz
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Noch geheim: Mit der New Economy ist kein Geld zu verdienen 
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Die Rede davon, dass die Zukunft der Wirtschaft in Computernetzen liegt, können manche schon nicht mehr hören. Dies sind Geschichten, die nicht in Focus stehen. Oder im „Start-up-Spezial“ des Sterns. Sie werden heute nicht in Online Today auftauchen und morgen nicht in Tomorrow. Verlagsgruppen und Medienkonzerne, die größere Mengen an Internet-Aktien unters Volk gebracht haben, können auf solche Geschichten sehr gut verzichten. Und auf Leute wie K., die nur miese Stimmung machen. Aber K. will gar nicht in die Medien, nicht einmal seinen Namen möchte er in der Zeitung lesen. Sein erstes Software-Startup hat er von vier auf hundertfünfzig Leute hochgezogen und dann verkaufen müssen, leider ohne Gewinn. Für das zweite findet er derzeit keinen Geldgeber. Reich ist er also nicht. Aber er hat eine Menge Erfahrung inzwischen, und er ist immer noch vorn dabei. „Ich werde keinem mehr glauben“, sagt er, „der mir was von den Chancen des E-Commerce erzählt. Was mich betrifft, wird E-Commerce niemals funktionieren.“ 

Das ist eine klare Ansage. K. sagt nicht, im Internet würde vorübergehend der Markt bereinigt. Er redet nicht davon, dass jetzt die Spreu vom Weizen getrennt, die Anleger informiert, die besten Geschäftsmodelle belohnt würden. Diese ganze Rhetorik, dass die Zukunft der Wirtschaft trotz allem im Netz liegt – damit hat er abgeschlossen. K. sagt diesen einen tödlichen Satz, und das Interessante ist: Keiner könnte das Gegenteil beweisen, nicht einmal Jeff Bezos, der Online-Guru von Amazon.com. Bezos hat wieder keine schwarzen Zahlen geschrieben im letzten Quartal, und auf die Frage, wann er Gewinne machen werde, will er auch nichts Genaues sagen. Irgendwann eben, oder auch: nie. Seither wächst der Verdacht, K. sei nicht etwa ein Abtrünniger, sondern Mitglied einer brandneuen Info-Elite: jener, die schon wissen, dass es nicht klappen wird. 


Sie behalten ihr Wissen noch für sich. Denn sie arbeiten ja für Firmen, die Millionen von Anlegern versprochen haben, demnächst würde im Internet sehr viel Geld verdient. Nur: Je größer diese Firmen sind, desto geiziger werden sie. Das Netzverzeichnis Yahoo ist so ein Fall: Tag und Nacht arbeiten die Yahoo-Manager daran, spannende Dinge auf ihre Seiten zu holen. Gute Texte zum Beispiel – das wäre doch was. Also geschieht es erstens, dass sie gelegentlich mit professionellen Textproduzenten verhandeln. Und dann kommt zweitens heraus, dass die Yahoo-Leute lieber stürben, als einen Pfennig dafür zu bezahlen. Sie kennen ihre Erlösmöglichkeiten, und sie wissen, was sie tun. Der Rest der Welt mag noch in Fortschrittsphantasien schwelgen – hier wird gerechnet. „Das Internet“, heißt es auf einer Yahoo-Werbeseite, „ist das am schnellsten wachsende Massenmedium in der Geschichte der modernen Medien.“ Und das einzige, könnte man hinzufügen, das für seine Inhalte nichts bezahlen kann.

Drin ohne Sinn

Dieser neuen Info-Elite steht ein Lumpenproletariat des Informationszeitalters gegenüber. Aber gerade nicht die Totalverweigerer, die grundsätzlich keine Internet-Aktien kaufen. Die sind in ihrer stillen Genügsamkeit am Ende noch fein heraus. Die wirklich Ahnungslosen sind die, die erst jüngst dazugekommen sind, überall noch mitreden und mitverdienen wollen und doch rein gar nichts verstanden haben. Ihr Anführer, Held und Phänotyp ist Boris Becker: Seit gestern erst drin, plant er heute schon selbst einen Börsengang. Warum, mit wem und zu welchem Zweck auch immer.

Oder die Weichgeklopften: Sie stehen einer immer härter aufdrehenden AOL-Bertelsmann-Burda-Propagandamaschine gegenüber und knicken irgendwann ein. „Immer noch nicht drin?“ müssen sie sich hämisch vom Stern-Cover fragen lassen, um dann mit einer mehrteiligen Nachhilfe-Serie samt Zugangs-CD-Rom (selbstverständlich von einer Bertelsmann-Tochter) ins Netz zu gehen. Kurz darauf suggeriert ein Focus-Titel, dass ganz Deutschland sich bereits dem Volkssport des Chattens hingibt – aber da sind die Neueinsteiger ja gottlob schon selbst online, und brav schicken sie die erledigte Hausaufgabe an die Volkspädagogen zurück: „Wir haben gerade die erste CD-Rom erfolgreich durchgearbeitet und sind begeistert. Als Ergebnis geht die erste E-Mail an den Stern“, schreibt ein Paar aus Nienburg. 

Wie leicht sich selbst die Regierung in diese Kampagnen integrieren lässt, zeigt der Titelslogan der „IT-Offensive“ von Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn. „Anschluss statt Ausschluss“ passt bestens in den anschwellenden Ton der Panikmache, der Netzverweigerern den Schweiß auf die Stirn treiben soll. Um vor allem junge Frauen und Senioren an die neuen Medien heranzuführen, will Bulmahn 750 Millionen Mark ausgeben. Das letzte Mal, als Staat und Wirtschaft so innig zusammenfanden, um eine neue Technologie durchzusetzen, ging es noch um die Kernenergie. 

Die Rentner, die jungen Mütter, die Unangeschlossenen dieser Welt – sie wissen es nicht, aber sie haben die Macht, die großen Illusionen noch zum Scheitern zu bringen. Sie sind das in den Businessplänen der Netzwelt längst eingebaute Wachstum. Wenn sie nicht surfen, klicken, shoppen und downloaden, wird die Rechnung nicht aufgehen, die Kurve abknicken, die Milliardenillusion verschwinden. Die zunehmende Dringlichkeit, mit der sie ins Netz gedrängt werden, ist ein Indiz dafür, dass fast alle zu hoch gepokert haben. Ein anderes Zeichen war der Rücktritt des T-Online-Chefs Wolfgang Keuntje. Das Unternehmen sehe nun „schwierigen Zeiten“ entgegen, verriet eine interne Mail den Mitarbeitern – aber gleich danach griff wieder die Sicherheitsmaschinerie, die Reihen wurden geschlossen, und von außen sah alles wie immer aus. 

Das Wissen der neuen Elite ist also, vorerst, noch strengstes Geheimwissen. Da sind zum einen die Zahlen: lachhaft übertrieben in jedem Gründer- und Erfolgsportrait, ein wirres Spiel mit verschiedensten Einheiten; selbst die quasi-offizielle IVW-Statistik lässt absurde Mogeleien zu. Eine Größe wie „eine Million Hits“ klingt eindrucksvoll – aber wer weiß schon, dass das im Extremfall auf nur 5000 echte Nutzer hinausläuft? 

Selbst korrekte Werte erscheinen kaum je in realistischer Perspektive. Da wirbt AOL damit, weltweit 22 Millionen Kunden zu haben. Aber wer weist darauf hin, dass diese Zahl weniger als die Hälfte der deutschen Fernsehzuschauer bedeutet, an einem einzigen Tag? 

Die Massen kommunizieren, kaufen und amüsieren sich noch längst nicht dort, wo sie es laut Börsenwerten und Businessplänen tun müssten. Und die Menschen im Netz weigern sich einerseits hartnäckig , nervige Werbung zu beachten, und wollen andererseits für nichts bezahlen, nicht für Informationen, nicht für Musik, nicht für Software. Man braucht eine Seite nur „www.geizkragen.de“ zu nennen, schon kann man sich des Ansturms sicher sein. 

Die Eingeweihten glauben nach wie vor an die Macht des Internets – sie glauben nur nicht mehr an die Businesspläne. Das Wesen des Netzes rückt umso schärfer ins Bewusstsein: Es ist, mehr den je, ein Medium der absoluten Freiwilligkeit. Man kann niemanden dazu zwingen, daran teilzuhaben. Die Menschen bewegen sich zielstrebig auf ihre Vorlieben oder Vorteile zu ; irgendwo in den unendlichen Weiten des Netzes finden sie dann die Informationen, die sie wirklich suchen, oft genug im Geist der christlichen Nächstenliebe: Jene, die schon haben, teilen uneigennützig mit allen, die noch wollen. Die Ideologie des Netzes ist nicht das Stehlen, wie die Musikindustrie gern behauptet, sondern die Freigiebigkeit. Im Grunde werden wir, wenn der Hype sich erst einmal gelichtet hat, Zeugen einer historischen Entwicklung sein: Wie Zeitgenossen des Kapitalismus zur Großzügigkeit erzogen wurden. 

Was wirklich die Welt bewegt, ist nach wie vor real, und man kann sich die Hände daran schmutzig machen: Öl zum Beispiel. Wenn sich das Internet derzeit zum Geldverdienen nutzen lasse, sagt K., dann nur in Verbindung mit der Offline-Welt. Man kann Firmen, die anderswo schon Gewinn machen, mit ihren Kunden näher zusammenbringen; man kann ihnen helfen, die Wünsche der Menschen besser zu verstehen; man kann früher erkennen, was demnächst passieren wird. All das wird sich lohnen, solange man echte Bedürfnisse der Nutzer trifft. Damit lassen sich aber keine Milliarden verdienen. K. sucht weiter nach den Antworten der Zukunft. Vor allem aber sucht er zurzeit einen Job, bei dem er mit echtem Geld bezahlt wird, und nicht nur mit Aktienoptionen. Notfalls sogar in der Old Economy. 

TOBIAS KNIEBE 
 


 


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