sebastian on 1 Nov 2000 01:58:00 -0000


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Sebastian Luetgert

Einfuehrung in eine wahre Geschichte des Internet

(1) Man kann nicht viel machen, wenn man nicht zwei ist. Manchmal, wenn man ganz 
allein ist, muss man sich verdoppeln koennen, sein Vaterland verraten oder eine 
zweite Nationalitaet annehmen, das heisst, wirklich doppelt sein koennen. Lenin 
hatte alle seine Ideen, als er nicht in Russland war. Danach hat er unheimlich 
viel zu tun gehabt, die Haelfte seiner Zeit hat er sich geirrt, und dann ist er 
gestorben. Aber seine grosse Schaffensperiode war die Zeit im Exil in der 
Schweiz, als in Russland Hungersnot herrschte und er Fahrradtouren in den Bergen 
oberhalb von Zuerich machte. Da hat er am besten gedacht - als er an zwei Orten 
gleichzeitig war. Das Interessante am Internet oder am Websitesmachen oder 
dergleichen liegt darin, dass man mit anderen die Moeglichkeit teilen kann, an 
zwei Orten gleichzeitig zu sein. Aber es sollte auch ein Kommunikationsort sein, 
und es ist auch einer, aber eher wird da alle Kommunikation verhindert.

(2) Eine Website machen ist, so wie es gemacht wird, von einer solchen 
Monotonie, dass man es mit allerlei Maetzchen verschleiert, mit vielen Leuten 
auf einem Haufen, die sich langweilen, die nicht wissen, wie sie die Zeit 
totschlagen sollen. Und gluecklicherweise hat irgendwer eine geniale Idee, die 
man genial nennt, weil man sie bloed nennen wuerde, die Leute sich nicht trauen 
wuerden zu sagen: Ich mache was Bloedes. Deshalb sagt man: Nein, ich mache eine 
geniale Website. Und drei Monate lang kommt man zusammen, muss man miteinander 
reden, und hinterher kracht man sich. Aber das dauert nur drei Monate. Danach 
sucht man sich was anderes. Es ist wirklich ein total falsches Leben, das 
aufrechterhalten wird durch Angst und Mangel an Vorstellung bei Leuten, die viel 
Vorstellung haben, aber aus irgendeinem Grund es nicht schaffen, sie zu sehen, 
sie haben das Beduerfnis, weniger davon auf dem Bildschirm zu sehen, und das 
finden sie toll. Noch die letzte Website ist weniger phantasievoll als der 
Tageslauf von irgend jemandem, und dieser Jemand findet die Website, auf der er 
war und fuer die man ihm mehr als zwei Dollar Telefongebuehren aus der Tasche 
gezogen hat, soviel toller als sein eigenes Leben. Das sind alles ziemlich 
seltsame Phaenomene, aber das kuemmert mich nicht, nur: so zu leben ist recht 
kuemmerlich.

(3) Wie kann man also darueber reden und darauf reagieren? Es geht nicht, die 
Gesellschaft, die Zwaenge sind auf dieser Ebene zu stark. Und sogar zwischen 
Leuten, die sich anfangs gemocht haben ... Wir waren verliebt ineinander, XXXXX 
und ich, mit all unseren Fehlern, dann aber ... Eigentlich ist alles, was ich 
dazu sagen kann, dass uns das Internet total auseinandergebracht hat. Sie hat, 
glaube ich, immer bedauert, dass sie nicht im Silicon Valley gearbeitet hat, und 
ich glaube, sie waere dort gluecklicher gewesen, nur haette sie eben zehn Jahre 
frueher geboren werden muessen und mit der Chance, eines Tages in San Francisco 
zu landen. Aber erst mal ging es darum, auf andere Weise Internet zu machen, 
davon leben zu koennen und zu ueberleben, gut, normal davon zu leben, das 
heisst, ganz normal Internet zu machen, so viel zu verdienen, dass es fuer eine 
Zweizimmerwohnung, ein Badezimmer und Ferien gereicht haette und dabei Websites 
zu machen, die man machen will, und eben keine Werbesites oder Pornosites oder 
politische Sites oder was auch immer. Und nicht gezwungen zu sein, nach Amerika 
zu gehen, wie drei Viertel der Europaeer. Das haben wir auch ungefaehr 
geschafft, aber mit einem solchen Kraftaufwand, und es hat uns auch so einsam 
gemacht, dass man sich sagt: das kann doch nicht normal sein. Da hat man die 
Mittel, Websites zu machen ... Und dann merkt man, dass die Leute sich gar nicht 
aendern wollen, und ich glaube, die Welt auch nicht.

(4) Eben weil man im Inneren des Internet leichter was veraendern kann, sogar in 
der Internetindustrie, viel leichter als in der Literatur, in den Kuensten - was 
man so die Kuenste nennt -, weil es weniger gibt, es werden weniger Websites 
gemacht als Buecher gedruckt. Es ist einfacher, das Programmieren zu veraendern, 
weil es weniger Programme gibt und weniger Programmierer. Die Zahl derer, die in 
Deutschland Websites machen, ist viel kleiner als die Zahl derjenigen, die 
schreiben. Es muesste einfacher sein, das Verhaeltnis zwischen Computer und 
Schreibtisch zu veraendern als das zwischen einer Presse oder einem Fliessband, 
einer Werkbank, einem Maschinenwerkzeug bei Audi oder bei Ford. Aber genau da 
aendert sich am wenigsten. Sogar ein Auto wird heute nicht mehr genauso 
fabriziert wie frueher mal. Ein Computer ..., wenn man sich einen PC anschaut, 
der ist heute noch genauso wie in den siebziger Jahren, der hat sich ueberhaupt 
nicht veraendert.

(5) Man kann einem Programmierer, der findet, dass er schlecht bezahlt wird, 
oder einem Arbeiter versprechen: Gut, ich werde dir mehr geben - ich habe das 
naemlich gemacht, naiv, wie ich war -, ich bezahle dir mehr, aber schreib auch 
ein bisschen Texte. Darauf sagt er: Die werden nichts taugen, ich kann nicht 
schreiben. Ich sage zu ihm: Das ist mir schon klar, aber gerade weil sie 
schlecht sein werden, werden sie mit helfen, bessere zu finden. Also erlaube 
mir, dass ich dich dafuer bezahle, dass du dich abmuehst, vollkommen bloede 
Texte zu schreiben. Mir wuerde das etwas an die Hand geben, um bessere zu 
finden. Das wuerde alles viel leichter machen, wenn ich ausgehen koennte von 
etwas Bloedem, um etwas weniger Bloedes zu finden. - Was glauben Sie, nie wuerde 
der auch nur die Textverarbeitung aufrufen. Er, der Programmierer, wird nie die 
Textverarbeitung aufrufen, selbst wenn man ihm sagte: Schreib was ueber dich 
selbst. Ueber sich selbst sogar noch weniger. Sprechen schon, davon bleibt ja 
nirgends ein Eindruck zurueck. Ja, was das Reden angeht, die Leute, die Internet 
machen, reden, das kann man wohl sagen. Mehr noch als im normalen Leben. Im 
normalen Leben laesst einem die Arbeit nicht die Zeit dazu. Schueler duerfen im 
Unterricht nicht reden, Arbeiter duerfen in der Fabrik nicht reden, 
Sekretaerinnen ueberhaupt nicht. Aber beim Internet ist man privilegiert, 
Designer, Konzepter reden andauernd, es hoert gar nicht auf.

(6) Die Amateure, die machen Yahoo reich, sie machen viele Webseiten, aber sie 
machen immer nur eine Seite auf einmal, sie machen eine Seite waehrend der 
Ferien, eine an Weihnachten, vielleicht eine, wenn ein Kind kommt, aber nie 
machen sie die Seite, die mit der ersten verlinkt sein koennte. Wenn sie eine 
Webseite machen - aus welchem Beduerfnis heraus tun sie das? Bei ihnen ist das 
moeglicherweise ganz natuerlich, aber ich finde, fuer einen Internetprofi ist 
das nicht natuerlich. Fuer mich ist der Feind der Internetprofi, der im Grunde 
noch weniger programmiert als der Amateur. Den Amateur kann ich wenigstens 
fragen, ob er eine Website von mir gesehen hat, die ihn interessiert hat, und 
danach kann ich ihn fragen: Nachdem du diese Seite gemacht hast, warum hast du 
dann nicht eine danach gemacht? Auf diese Weise habe ich wenigstens eine absolut 
reale Unterhaltung ueber das Internet. Und er wird sich darueber klarwerden, 
dass in der Tat eine naechste machen zu muessen bedeutet, dass man anfangen 
will, Links herzustellen. Und das braucht er nicht, das verlangt man nicht von 
ihm. Jeder muss nicht Websites machen. Aber die, die welche machen, von denen 
kann man es verlangen. Professionell? Es kommt darauf an, in welchem Sinn, ob 
man es positiv oder negativ meint. Meistens, wenn ich mich mit Professionellen 
streite, werfe ich ihnen vor, dass sie keine Professionellen sind, weil sie es 
von sich behaupten. Aber gegenueber anderen Professionellen, die mir vorwerfen, 
dass ich kein Professioneller waere, denen gegenueber reklamiere ich den Status 
eines Amateurs. Zu ihnen sage ich: Allerdings, ihr seid keine Internetamateure, 
ihr seid noch schlimmere Profis als die beim Fussball. Ja, bestimmt, sie sind 
eine Kaste, eine Mafia, und die Leute haben Angst vor ihnen. Man sieht beim 
Streaming, das sicher noch viel einfacher sein koennte, wie schnell es sich 
spezialisiert, es bleibt, wie es ist, man macht sich nicht klar, was man damit 
machen koennte, und man macht nichts daraus.

(7) Ja, aber an eine Zielgruppe zu denken, bei den meisten ist das der grosse 
Betrug. Sie sagen: Man muss die Zielgruppe respektieren, man muss an die 
Zielgruppe denken, man muss daran denken, dass die Website die Zielgruppe nicht 
langweilt. Vor allem muss man daran denken, dass, wenn eine Website die 
Zielgruppe langweilt, sie sie nicht anschaut und der, der so redet, wenn er Geld 
in die Website steckt, es jedenfalls verlieren wird. Es waere richtiger, er 
wuerde sagen: Ich muss versuchen, die groesstmoegliche Menge Leute anzulocken, 
um die groesstmoegliche Menge Geld zu verdienen. Das ist voellig in Ordnung, nur 
sollte er es sagen. Und nicht sagen: Man darf die Zielgruppe nicht langweilen. 
"Man darf" heisst da ueberhaupt nichts. Meine erste Reaktion war lange Zeit, 
dass ich ausging von der Einsicht, die ich jeweils gerade hatte, und sagte: 
Dauernd wird von der Zielgruppe geredet, ich kenne sie nicht, ich sehe sie 
nicht, ich weiss nicht wer das ist. Angefangen, an die Zielgruppe zu denken, 
habe ich wegen der grossen Misserfolge, wegen der enormen Misserfolge zum 
Beispiel bei SansSoleil.com, das sich in fuenfzehn Tagen nur achtzehn Leute 
angeschaut haben. Achtzehn - ich habe mich nicht verzaehlt, so weit kann ich 
schliesslich zaehlen. Da habe ich mir dann gesagt: Wer zum Teufel sind diese 
achtzehn, das moechte ich gern wissen. Diese achtzehn Personen, die gekommen 
sind, das sich anzuschauen, die haette ich gern gesehen, ich haette gern ihr 
Bild gesehen. Das war das erstemal, dass ich wirklich an die Zielgruppe gedacht 
habe. Da konnte ich an die Zielgruppe denken. Ich glaube nicht, dass Amazon an 
die Zielgruppe denken kann. Wie kann man an zwoelf Millionen Besucher denken? 
Deren CEO kann an zwoelf Millionen Dollar denken, aber an zwoelf Millionen 
Besucher zu denken, das ist einfach unmoeglich. 

(8) Rolux kann keine Vorstellung vom Internet geben, es kann, jedenfalls habe 
ich das versucht, eine Vorstellung von Leuten im Internet geben, und das finde 
ich weniger unehrlich als eben zum Beispiel die Website von Etoy, die den Leuten 
zu sagen versucht: So laeuft es im Internet. Und die Leute verstehen zwar nichts 
von alledem, aber sie sind zufrieden, in ihrer Vorstellung bestaerkt worden zu 
sein, dass man davon sowieso nichts verstehen kann und dass es eben so laeuft. 
Waehrend, wie die Toywar Website wirklich entstanden ist, gar nicht so gelaufen 
ist. Aber es ist eben kein Zufall, dass Toywar dann irgendwann den Webby Award 
fuer die beste auslaendische Website bekommen hat, es ist eben eine typische 
amerikanische Website. "Toywar" ist ein technischer Terminus, fuer einen Trick. 
Es ist ein technischer Vorgang. Aber ich denke, man hat diese Website auch 
ausgezeichnet, weil sie so gut verdeckt, gerade weil sie so tut, als decke sie 
etwas auf, was das Internet sein kann, etwas Magisches, das einem voellig ueber 
den Horizont geht und zugleich eine Menge angenehmer und unangenehmer Leute 
anzieht.

(9) Die Finanziers oder die Vermittler, die Provider sind realistischer als drei 
Viertel aller Netzkuenstler, weil sie an die Zielgruppe in Gestalt von von 
Dollars denken, sie denken an drei Millionen Leute zu zwei Dollar je Stunde, sie 
machen eine kleine Multiplikation, und dann sagen sie sich ... Das ist ihre Art 
zu denken. Das ist wenigstens real, und das versuchen sie. Aber wenn man nicht 
daran denkt? Was ist in mir, das vier Millionen Besucher interessieren koennte? 
Ich habe lange Zeit gebraucht, bis ich mir das so sagen konnte, und ich denke, 
dass das, was ich sagen kann, in Berlin vielleicht hundert bis zweihundert Leute 
interessiert. Aber wie? Das Internet ist dafuer nicht besonders gut organisiert. 
Um sie per Mail zu erreichen, muesste ich zu viele Mails schreiben. Die Website, 
die ich im Internet mache, erreicht sie auch nicht. Um sie zu erreichen, muesste 
ich sie anders machen, ich muesste so eine Website machen, wie ich sie nicht 
machen moechte. Also sage ich mir: Man muss zugleich kleiner denken, etwas 
laenger und anders. Und dann geht mir auf, dass ich wirklich allein bin. Und 
damit stossen wir auf das eigentliche Problem. Was bewirkt, dass das, was ich 
mache, jemand anderen interessieren koennte?

(10) Und wenn ich die Website von Etoy sehe, dann finde ich meine ehrlicher, 
wenn Sie so wollen, weil ich absolut draussen geblieben bin, das ist naemlich 
... ich weiss nicht ... Damals habe ich nicht so gedacht, aber wenn ich es heute 
machen muesste, waere es das erste. Was nicht ehrlich ist auf der Etoy Website, 
ist dass sie nicht zeigen, wie sie die Leute engagieren. Wie sie Anwaelte und 
Manager engagieren und wie ... Etoy zeigen sich nur mal eben vor einem kleinen 
Hubschrauber, den sie nicht mehr haben, und schreiben dann das Wort "Internet" 
darueber. Was selbst, um zu zeigen, was sie vom Internet denken, von einer 
unglaublichen Bloedheit ist. Wie ich es sehe, ist das Internet in erster Linie 
eine Geldangelegenheit. Einer hat Geld, er gibt es einem anderen, und dann tut 
dieser andere so, als sei er ein Kuenstler, aber in Wirklichkeit ... Und ueber 
Rolux: Ich weiss nicht genau, ich sehe Leute im Internet arbeiten, und dann sehe 
ich, wie das ihre Beziehungen zueinander kaputtmacht, es ist offenbar kein Ort 
... Aber nach Toywar - wie koennte man da beschreiben, was das ist: eine Website 
machen? Man wuerde sagen ... Ich weiss nicht, was man sagen wuerde. Man waere 
unfaehig zu ... Und eben darin liegt die Staerke des Internet, es bestaerkt die 
Leute in ihrer Vorstellung, es waere was Geheimnisvolles und gleichzeitig was 
Vertrautes, denn man gibt schliesslich jeden Monat fuenfzig oder sechzig Dollar 
Telefongebuehren dafuer aus. Internet und Fernsehen muessten sein wie 
Provinzzeitungen. Es gibt so kleine Zeitungen. Die Kuenstler hier ... Ihr macht 
eine Zeitung fuer euch. Kleine Zeitungen werden gemacht fuer die Universitaet, 
und man sagt sich nicht: Diese Zeitung muss in der ganzen Welt vertrieben 
werden. Fuer drinnen, das genuegt. Ich denke, mit Websites ist es genauso. Es 
kann ein paar geben, die vielleicht fuer alle sind, aber schlecht ist es, 
auszugehen von allen. Ich glaube, das hat ganz ueble Folgen, ueber die die Leute 
sich nicht im klaren sind.

(11) Es gibt eine Sache, die mich immer beschaeftigt hat: wie man von einer 
Webseite zur anderen gelangt. Das heisst im Grunde: warum man eine Seite mit der 
anderen verlinkt. Die Amateurprogrammierer machen es nicht, sie brauchen es 
nicht. Aber die profesionellen Programmierer, die verlinken nicht nur eine 
Webseite mit der anderen, sondern achthundert miteinander. Sie koennen sich 
darauf verlassen - so laeuft es heute -, dass die achthundert Seiten alle gleich 
sind, es ist eine Seite mit achthundert multipliziert. Mann nimmt verschiedene 
Designer, um zu zeigen ..., aber man aendert die Namen der Links nur, weil, wenn 
man die Namen liesse, wuerden die Leute nicht mehr kommen. Das sie total fertig 
sind von ihrer Arbeit in der Universitaet oder im Buero, sehen sie nicht, dass 
es dieselbe Website ist.

(12) Das Internet ist eine Macht, und die Leute benutzen immer noch gern 
Websites. Was schauen sie sich im Internet gern an? Rolux, meinetwegen auch 
Toywar oder dergleichen, wenn das den Leuten im Internet noch gefaellt, so weil 
die Art, wie es gemacht wird, naeher ist, weil darin eine ungeheure Staerke 
liegt und weil sich das auch nicht aendern wird. Vielleicht aendern sich die 
technischen Standards, aber das Entscheidende bleibt. Es ist der einzige Ort, wo 
es moeglich ist, Dinge zu veraendern, die so nicht taugen. Ueberall sonst sind 
dazu zu viele Leute noetig, man braucht zu viele Dinge, um es zu ermoeglichen. 
So hat man die Wahl, zu warten und seinen eigenen Kleinkram zustandezubringen, 
wenn man es schafft. Aber dafuer braucht man trotz allem eine grosse 
Passivitaet. Man kann mal mit zwoelf Personen arbeiten und dann mit zweien, und 
dann versucht man, ausgehend von zweien oder dreien, ob es nicht noch ein paar 
andere gibt, die Lust haetten. Vielleicht muss man sich auch nicht unbedingt mit 
Internetleuten zusammentun. Man muss sich anderswo Verbuendete suchen, um trotz 
allem etwas zu machen. Silicon Valley? Ja, das ist ein kulturelles Phaenomen, 
das soviel staerker ist als alles andere, und das kann nicht untergehen. Es kann 
einfach nicht, der Beweis dafuer ist, dass es besser weitergeht denn je. Es geht 
besser weiter als jemals seit 1990.

(13) Wir kennen nur wenige Leute. Die wenigen, die wir kennen, mit denen sind 
wir schnell zerstritten. Ich schaffe es einfach nicht, jemanden zu finden. Der 
einzige, den ich gefunden hatte - und da war es noch er, der auf mich zugekommen 
ist -, war XXXXX. Er ist zu mir gekommen und hat gesagt: Ich kann allein keine 
Websites machen, ich muss mehr als einer sein. Er wollte Websites machen, aber 
anders als die anderen, nicht allein. Und ich machte mir unbewusst klar, dass 
ich allein es nicht schaffen wuerde. Man musste wenigstens zu zweit sein. Und 
vielleicht dann, wenn moeglich, zu dritt. Aber ich habe es nicht geschafft. Nach 
XXXXX habe ich eine Frau gefunden, eine Freundin, aber wir sagen uns: wir sind 
anderthalb. Anderthalb, weil wir nur die Haelfte von dreien sind. Anderthalb 
heisst nicht einer und ein halber, es heisst die Haelfte von dreien. Ich habe es 
nie geschafft, zu dritt zu sein. Das Problem meiner Website ist, einen Dritten 
zu finden. Dass ich zum Beispiel einen Programmierer haette, aber einen 
Programmierer, der auch mal was anderes machen mag, nicht nur programmieren, 
oder wenigstens einen, der das Programmieren fuer sich selbst braucht, der nicht 
zufrieden waere, sein Geld zu verdienen und sich zu verkaufen, der das fuer sich 
brauchte, der den Code auch fuer sich brauchte und nicht nur fuer die Agentur 
oder fuer mich, wenn ich es von ihm verlange. Wenn es ein Programmierer waere -
gut. Wenn es ein Finanzier waere, dann waere es ein Finanzier. Wenn es ein 
Schreiber waere, waere es ein Schreiber. Wenn es ein Designer waere, ein 
Designer. Das waere egal - jeder koennte der dritte sein. Wir glauben, dass die 
grossen Silicon Alley Portale von einem entworfen werden, manchmal von zweien, 
wenn sie gut sind, wenn sie besser sind. Und wenn zum Beispiel ... Mir ist erst 
kuerzlich wieder aufgegangen, dass die Staerke von Nettime, dass sie zu einem 
bestimmten Zeitpunkt in Europa zum Durchbruch kommen konnten, einfach darin lag, 
dass sie zu dritt oder zu viert waren, die miteinander ueber das Internet 
redeten. Und das hat im Verhaeltnis zu den anderen rundherum schon ausgereicht, 
weil sie was sagten und das Beduerfnis hatten, es sich zu sagen, weil sie das 
Beduerfnis hatten, durch den Eindruck von etwas hindurchzugehen, und dieses 
Eindrucksmittel war eben das Internet und nicht das Buch. Sonst macht man kein 
Internet.

(14) Die Netzkritik sollte Websites machen, statt zu kritisieren. Oder aber 
Netzkritik wie Websites machen. Ihre Staerke, als sie Netzkritik machten, 
bestand darin, dass es keine Kritik war. Sie sprachen als Programmierer ueber 
die Websites anderer Programmierer, und oft wussten sie nicht, was sie ueber die 
Website als Website sagen wollten, weil sie ihnen einfach nicht gefiel. Da blieb 
ihnen nur uebrig - sie konnten nicht einfach sagen: das ist ein kaputter Link -, 
den beim Namen zu nennen, der ihn gemacht hatte, als physische und moralische 
Person, und zu versuchen, dieser physischen und moralischen Person etwas 
anzuhaengen, damit ihr klar wuerde, dass sie was Schlechtes ueber die Website 
sagten. Als sie Nettime gemacht haben, sprachen sie ueber Websites, weil sie es 
nicht fertigbrachten, Websites zu programmieren. Das machte sie nicht traurig, 
sie fingen ja erst an. Ich glaube, so war es. Ich habe mich nie als Netzkritiker 
gesehen, sondern als jemanden, der ueber eine Website redet, weil er Lust hat, 
selbst eine zu machen. Ueber eine Website zu reden war wie eine zu machen. Es 
war eine Art, etwas mit dem Internet zu tun zu haben.

(15) Heute habe ich wieder Lust - und wenn wir Zeit haben, werden wir es 
vielleicht machen, und wenn ich zwei oder drei Leute finde, die auch Lust dazu 
haben wie ich -, ich habe wieder Lust, ich hoffe, das ist eine Spirale und kein 
circulus vitiosus, wieder Kritik zu machen und uebers Internet zu reden oder 
Internet in Form einer Zeitschrift zu machen. Mal nicht programmieren, sondern 
schreiben und publizieren, eine Mischung aus Screenshots und Texten, besonders 
Netzkritik, wie sie heute, meiner Meinung nach, vielleicht anders gemacht werden 
koennte, dahin zu kommen, dass man eine Website kritisiert, wie man ein Essen 
kritisiert oder einen Automotor, der falsch montiert ist. Dass man nicht sagt: 
das ist schoen, das ist grossartig, das ist wie von Jodi, das ist schoener als 
Jodi ...

(16) Auf der Ars Electronica waren wir, ja, aber wir haben uns wirklich sehr 
unwohl dabei gefuehlt. Wir wollten naemlich nicht auf die Berlin Beta gehen, 
deshalb fuehlten wir uns verpflichtet, auf die Ars Electronica zu gehen, und 
haben uns einfach nicht getraut, ihnen zu sagen, sie waeren genauso bloed und 
wir auch, weil wir gekommen waeren. Und dann wollten wir unsere Website ja auch 
gern zeigen. Das ist alles wirklich sehr verzwickt. Das ist, wie wenn man zu 
einer Veranstaltung geht und sich dann hinterher sagt: Was ist das hier nur fuer 
ein beschissener Verein, ich halte das nicht mehr aus ... Aber man kann sich das 
erst sagen, wenn man erst mal da ist. Die Medienfestivals sind wie ein Gesetz. 
Jedenfalls sind Festivals die einzigen Orte, wo nicht ueber Websites gesprochen 
wird. Aber es stimmt schon, wenn die Internetleute nicht ueber Websites reden. 
Man muss doch ein bisschen ueber das reden, was man macht, und so versammeln sie 
sich eben in dieser Form. Das gibt es eigentlich ueberall. Es gibt 
Zahnarztkongresse, es gibt Kongresse ... Die Internetmacher sind eine Industrie 
wie jede andere auch. Die Zahnaerzte wuerden sich natuerlich nicht trauen, zu 
sagen: das Festival des Zahns.


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