Krystian Woznicki on 14 Nov 2000 09:51:31 -0000 |
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[rohrpost] Zizek Interview |
Hi, heute ist ein Zizek Interview in der SZ [http://szonnet.oba.de/REGIS_A11419447] erschienen. Gruss Krystian Die Obszönität der Globalisierung IM STREITRAUM Der Philosoph Slavoj Zizek will Ehe und Christentum stärken, um den Kapitalismus zu bekämpfen Slavoj Zizek, der Grenzgänger zwischen Philosophie und Psychoanalyse, analysiert die Abgründe einer Gesellschaft ohne verbindliche Normen. Mit den politisch korrekten Beschwichtigungen der Postmoderne gibt sich Zizek nicht zufrieden. In der „Streitraum“-Reihe, die die Schaubühne in Kooperation mit der Süddeutschen Zeitung veranstaltet, diskutierten mit Zizek der Publizist Mathias Greffrath, der Schaubühnen-Regisseur Thomas Ostermeier und SZ-Redakteur Jakob Augstein. Ralf Berhorst hat das Gespräch zusammengefasst. Greffrath: Herr Zizek, Sie sagen, die Subjektivität sei heute „angefressen“ vom postmodernen Übel völliger Wahlfreiheit. Wie können die Menschen sich denn gegen die Beliebigkeit wehren? Zizek: Mich interessiert, wie diese Welt kleiner narzissstischer Vergnügungen, in denen sich freie Subjekte beständig neu erfinden, jederzeit im Schatten der Katastrophe steht. Eine bestimmte radikale Dimension von Intersubjektivität ist bedroht: die Idee, dass die andere Person letzten Endes ein tiefes Rätsel ist. Das Aufgeschlossensein für Andersheit ist bedroht. Deswegen verteidige ich die christliche Tradition – und nicht aus einer religiösen Haltung heraus. Augstein: Glauben Sie denn selber an Gott oder die Ehe, oder sagen Sie nur uns, dass wir daran glauben sollen, damit nicht alles auseinander fliegt Zizek: Natürlich glaube ich nicht an die Ehe. Wenn heute die Auflösung der Ehe gefeiert wird, dann versuche ich nur in der besten Tradition der Frankfurter Schule auf die Zwiespältigkeit dieses Prozesses aufmerksam zu machen. Adorno und Horkheimer haben bereits in den dreißiger Jahre darauf hingewiesen, dass aus der Abschaffung der patriarchalischen Familie nicht das freie Individuum hervorgeht. Ostermeier: Hier an der Schaubühne haben wir gerade Stücke junger Autoren aufgeführt, in denen es um den Versuch geht, Familienstrukturen neu zu erfinden. Haben Sie da einen Tipp? Zizek: Ich kann kein Kaninchen aus dem Zylinder hervorzaubern. Mich stößt am postmodernen Denken vor allem ab, dass es so gerne den patriarchalischen Strukturen die Poesie der fließenden Identitäten gegenüberstellt. Dem entgegne ich: Es ist überhaupt nichts Subversives daran, sich ständig neu zu erfinden. Greffrath: Um uns wie Münchhausen aus dem Sumpf der frei kreisenden Individualitäten ziehen zu können, bräuchten wir einen Fixpunkt jenseits des Kapitalismus. Zizek: Wir müssen zunächst einmal jene Erzählungen unterminieren, mit denen die Medien uns heute bombardieren. So etwa den unsinnigen Mythos, dass im Zeitalter der Globalisierung der Staat an Bedeutung verliert. Nie hat das Kapital einen Staatsapparat so sehr gebraucht wie jetzt. Wenn Sie mich fragen, wo die Hoffnung liegt, dann antworte ich als ein Cyber-Kommunist und altmodischer Marxist: Ich glaube, dass die so genannte digitale Ökonomie ein Explosionspotenzial in sich birgt, das vom Kapitalismus nicht zu beherrschen ist. Die Gefahr ist nur, dass an die Stelle der digitalen Ökonomie eine Art neokorporatistische Ordnung rückt. Augstein: Das müsste Sie doch eigentlich freuen. Dann hat das frei flottierende Subjekt endlich wieder das „Andere“ als Gegenpart, gegen das es ankämpfen kann. Zizek: Aber die Opposition zwischen frei fließender Subjektivität und fixierten Rollen ist doch nur ein weiterer Mythos. Diese Idee, unser Selbst fortwährend neu zu erfinden, dient zur Maskierung des tatsächlichen Gegenteils: dass sich nämlich die Dinge heute kaum verändern. Ostermeier: Wie kann man dieser Macht begegnen? Zizek: Wir müssen vor allem einsehen, dass die alte Dichotomie von Verbot und Überschreitung nicht mehr funktioniert. Heute verlangt auch das große Kapital nach obszönen Grenzüberschreitungen. Als Freunde von mir einmal in London eine Kunstausstellung planten, schaute der Kurator sie an, als wollte er sagen: „Das sind doch nur Bilder und Statuen – wo sind die toten Kühe, die Exkremente und die Nackten?“ Ostermeier: Wie aber können wir den Kapitalismus loswerden? Zizek: Wir müssen erst einmal wahrnehmen, dass die gefeierte postmoderne Beliebigkeit unmittelbar durch den globalen Kapitalismus selbst hervorgebracht wird. Die Art und Weise, wie wir über Toleranz sprechen, gehört zur Strategie der so genannten „Neuen Linken“, die Ökonomie zu entpolitisieren. Übrig bleiben dann Probleme wie Abtreibung, Schwulenrechte und so weiter . Ostermeier: Die Ausgeschlossenen, von denen Sie sprechen, sind manchmal bei uns auf der Bühne zu sehen. Zizek: Das ist übrigens auch eine sehr zwiespältige Sache. Nichts befriedigt das aufgeklärte liberale Bewusstsein mehr als die Ausgeschlossenen auf einer Bühne zu sehen, um dann mit ihnen zu sympathisieren. Greffrath: In europäischer Perspektive sitzen die Ausgeschlossenen heute auf dem Balkan. Zizek: Pierre Bourdieu sprach einmal von der „Festung Europa“. Ich finde es interessant, wie Menschen, die völlige Anti-Rassisten sind, zum Rassismus tendieren, sobald sie über den Balkan sprechen. Ich stimme Habermas zu, der sagt, dass der Balkan der Ort ist, an dem sich die Identität der europäischen Union entscheiden wird. Ich bin mehr denn je überzeugt, dass Europa zutiefst verantwortlich ist für das, was sich gegenwärtig auf dem Balkan abspielt. Augstein: Worin liegt die Schuld Westeuropas? Zizek: Warum beispielsweise akzeptiert der Westen nicht einfach, dass im Kosovo gegenwärtig so viel Hass existiert, dass eine kurzfristige Kantonisierung unvermeidlich ist? Der Westen ist geleitet von dem Mythos, dass Jugoslawien eine Art multi-ethnisches Paradies war. Der grundlegende Fehler war aber, nicht zu realisieren, dass dies bereits im Jahr 1991 nicht mehr zutraf. Als Milosevic 1987 an die Macht kam, war es mit dem alten Jugoslawien vorbei. Greffrath: Sie sagen, der Balkan sei „das Andere“ Europas. Warum sollte Westeuropa dieses „Andere“ in sich aufnehmen? Zizek: Das ist ein Pseudoproblem. Ihr Europäer seid ein bisschen zu arrogant, wenn ihr meint, ein kostbares Zentrum zu besitzen, in das „die Anderen“ hineindürfen oder auch nicht. Das ist europäischer Narzissmus. Die Balkanstaaten sind nur an finanzieller Hilfe interessiert. Niemand will wirklich nach Europa. Quelle http://szonnet.oba.de/REGIS_A11419447 ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost