Tilman Baumgaertel on 25 Nov 2000 01:11:22 -0000 |
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Berliner Zeitung, 24. November 2000 http://www.berlinonline.de/.bin/print.php/suche/.bin/mark.cgi/aktuelles/berl iner_zeitung/.html/24artik39.html Komponieren mit dem Gameboy Micromusic präsentieren in Berlin ihre seltsame Mischung aus Tanzmusik und Pac-Man-Geräuschen Es klingt, als würde jemand mit einem alten Pac-Man-Spiel neue Drum&Bass-Musik komponieren. Die Tracks, die sich auf der Website von Micromusic finden, werden mit historischen Rechnern gemacht, aber sie klingen wie aktueller Dancefloor. Seit einem Jahr laden Hobbymusiker aus der ganzen Welt ihre seltsamen Kinderzimmer-Produktionen auf den Micromusic-Server in der Schweiz. Nun haben auch bekannte Musiker die Website entdeckt. Zwischen den Kompositionen von Unbekannten gibt es neuerdings auch Material von erfolgreichen Computermusikern wie Lektrogirl. Am Samstag werden Micromusic in Berlin ihre erste CD vorstellen, die sie aus den Tracks auf ihrer Website zusammengestellt haben. Die "Berliner Zeitung" sprach mit Micromusic-Gründer Carl. ?: Die Musik, die ihr auf eurer Website Micromusic veröffentlicht, hat einen sehr eigenen Klang. Wir würdet ihr selbst ihn bezeichnen? Carl: Es gibt verschiedene Wörter. Mir gefällt Webscreen-Musik am besten. Wir finden, dass man zu unserer Musik gut im Netz surfen kann. ?: Vor allem erinnert diese Musik an Computerspiele wie "Space Invaders" oder "Pac-Man". Woher kommt die Vorliebe für diese Sounds? Carl: Viele Leute, die ihre Tracks auf Micromusic veröffentlichen, komponieren mit dem Gameboy. Andere benutzen alte Computer wie zum Beispiel den historischen Atari. Das sind junge Leute, die kein Geld haben und sich darum keine teure Technik leisten können. Ich selbst bin schwer verliebt in Retrogame-Klänge, also diese typischen Sounds alter Computerspiele. ?: In Berlin werdet ihr in dem Club WMF auftreten. Glaubst du, dass man zu diesen komischen, verschrobenen Sounds tanzen kann? Carl: Ja, obwohl mir selbst bei Micromusic diese kleinen, lärmigen sinnlosen Tracks, die nicht tanzbar sind, am besten gefallen. ?: Die Musik auf eurer Website klingt sehr homogen. Wie kommt das und was für Leute machen bei Micromusic mit? Carl: Wir filtern das Material, das bei uns eingereicht wird. Es kann für Musiker hart sein, wenn sie abgewiesen werden. Unser Kern-Team ist in der Schweiz. Aber es gibt auch andere, die uns über das Internet helfen. Viele von ihnen habe ich noch nie gesehen. Das macht mich sehr glücklich, weil ich die Befürchtung hatte, dass das Internet total kommerzialisiert wird und die Leute online nur noch konsumieren wollen. Aber so schlimm ist es gar nicht. Diejenigen, die bei uns mitmachen, haben ihren Job. Da kommt Geld rein, aber sie wollen auch Sachen machen, die ihnen Spaß bereiten. Von denen lebt Micromusic. Für die ist das eine Möglichkeit sich zu entspannen. Niemand macht das als Vollzeitjob. ?: Sind das Leute, die mit dem Computer und mit Games sozialisiert worden sind, und die darum in ihrer Jugend ähnliche Erfahrungen gemacht haben? Carl: Ja. Wir haben schon als Teenager mit den Geräten experimentiert, die uns zur Verfügung standen. Ich kann mich daran erinnern, dass ich mich immer mit meinem Vater um den Fernseher gestritten habe. Er wollte mit der Kiste die Nachrichten sehen, aber ich brauchte sie als Monitor, um auf meinem Computer Basic-Programme zu schreiben. ?: Warum gibt es gerade jetzt so viele Leute, die sich für alte Computerspiele und ihre seltsamen Klänge interessieren? Carl: Viele von ihnen sind alte Computerfreaks. Früher musste man sich dafür verteidigen, wenn man sich mit dem Rechner beschäftigt hat. Viele haben einen ausgelacht oder für merkwürdig gehalten. Darum ist die Computerszene, die eigentlich schon länger sehr groß ist, von der Öffentlichkeit nie richtig wahrgenommen worden. Aber durch den Erfolg des Internet haben die Computerfreaks in den letzten Jahren ein gewisses Selbstvertrauen bekommen und zeigen sich jetzt. ?: Haben die Games und das Musikmachen mit dem Computer etwas miteinander zu tun? Carl: Beides ist eine Herausforderung, ein Kampf mit der Maschine, damit sie das macht, was man will. Wir haben versucht, diesen Aspekt bei Micromusic umzusetzen. Wie bei einem Computerspiel muss man zuerst ein gewisses Level erreichen, um an gute Stücke heranzukommen. Bei Micromusic geht es um die Faszination mit Musik und der Bildschirmästhetik des Computers. ?: Kann man sich über Musik besser mit dem Computer auseinander setzen als zum Beispiel über die bildende Kunst? Carl: Ja, Musik ist so direkt, dass man sich kaum dagegen wehren kann. Ich muss nur eine CD einlegen und die Leute hören zu. Ob jemandem unsere Musik gefällt, ist Geschmacksache. Aber die Leute, die sie verstehen und lieben, brauchen keine Erläuterungen. ?: Ist es nicht ein Widerspruch, Musik im Netz zu produzieren, und dann doch wieder eine CD zu machen und live aufzutreten? Carl: Es wird jetzt sehr oft nach Platten gefragt, weil DJs unsere Sachen in Clubs auflegen wollen. Und die Leute wollen uns live sehen. Damit müssen wir uns auseinander setzen. Wir wollen keine Tourneen um die Welt machen. Aber wir haben schon Anfragen aus New York gehabt. Vielleicht machen das ja Leute aus den USA, die an der Website mitarbeiten. Als Micromusic können auch Menschen auftreten, die wir noch nie gesehen haben. ?: Aber Angst vor Plagiaten habt ihr deswegen nicht? Carl: Nein, aber ich sehe in der Popmusik ähnliche Tendenzen wie bei Micromusic. Die Vengaboys haben zum Beispiel auch diese billigen Synthesizerklänge und Computerspiel-Melodien. Die sind in punkto Ästhetik gar nicht so weit von uns entfernt. Das Gespräch führte Tilman Baumgärtel. "Low tech music for high tech people" Die Website von Micromusic ist zu einem Treffpunkt für Leute geworden, die elektronische Musik und alte Computer lieben. Produzenten aus der ganzen Welt veröffentlichen auf ihr Tracks voll komischer Geräusche, wie man sie Anfang der achtziger Jahre in der Videospiel-Arkade zu hören bekam. Die Macher von Micromusic nennen das "low tech music for high tech people". Am Sonnabend treten Micromusic im WMF in Berlin auf. Micromusic www.micromusic.net ---------------------------------------------------------- # rohrpost -- deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur # Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost # kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen # Entsubskribieren: majordomo@mikrolisten.de, msg: unsubscribe rohrpost # Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de -- http://www.mikro.org/rohrpost