Stefan Heidenreich on 11 Feb 2001 23:28:23 -0000


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Re: [rohrpost] Gegen Medientheorie (Three Minutes of Theory)


Florian Cramer schrieb:
> Gegen Medientheorie

Darauf (wiederum) eine Entgegnung

> zu 2.=4. (wir brauchen eine Semiotik des Computers statt Medientheorie)
Das wäre ein theoretischer Rückschritt. 
Hat Medientheorie doch gerade hinter der Inhaltlichkeit, an die Semiotik
immer gefesselt war, einen Blick auf Entstehungsbedingungen medialer
Zeichensysteme freigelegt. 
In jeder Semiotik ist dagegen von vorne herein ein Terror der Bedeutung
eingeschrieben, der Prozesse in Datenströmen unterhalb der
Bedeutungseffekte ausblendet. Statt dessen tendiert Semiotik dazu - und
das konnte man in den 80er Jahren schon einmal gut beobachten -, sich
mit scholastischer Begriffsbildung abzuschotten: weil sie nur
Ersetzungsoperationen vornimmt und nichts erklärt, muss sie die Illusion
eines Erkenntnisfortschritts als Binnenkomplexität simulieren. 
Parallele Binneneffekte lassen sich an der Medientheorie beobachten:
weil sie an laufenden Ereignissen eine Datenstroms in einer (relativ)
stabilen Medienlage nichts beobachten kann (oder will), flüchtet sie
sich in die wissenschaftlich sichere und endlose Um- und Neuschreibung
von Mediengeschichte. 

> 1. (Computer sind nicht Medien sondern universelle Zeichenmaschinen:)
Gerade wenn Computer in Netzen verschaltet sind, treten sie an die
Stelle eines Mediums (sogar im vereinfachten Sinn von "Mittlern"). Im
übrigen widersprechen sich beide Begriffe keineswegs. 

>zu 3. bis 7. (Argumente zum Computer als Textmaschine) 
Der Computer codiert Zeichen nicht textuell: Text ist vielmehr nur eine
von vielen Repräsentationen binärer Differenzen. 
Ein Textbegriff, der alle diskreten Informationen umfasst, muss entweder
a) herkömmlichen Text (und damit Literatur) als gleichberechtigte
Datenform neben anderen Oberflächen, etwa Bildern oder Sounds,
beschreiben oder ist b) ein durchsichtiges rhetorisches Manöver, um Text
im herkömmlichen Sinn und diskrete Codes miteinander zu verwechseln. 
Es scheint theoretisch wenig hilfreich, in einer Ausbeulung des
Textbegriffs den Übergang der Textoberflächen zu Bild- und
Soundoberflächen verdrängen zu wollen. Damit igelt sich Wissenschaft im
Medium der eigenen Produktion ein (denn schliesslich schreibt sie) und
vergibt einmal mehr die Chance, entstehende Datenströme zu beobachten. 


Stefan Heidenreich
ab Mai am Forschungsprojekt "Systematik und Geschichte digitaler Medien" 
Kulturwissenschaften - HU Berlin.

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