Peter Ritter on 9 May 2001 22:14:14 -0000


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[rohrpost] medien und hypnose


da neue Medien immer wieder als besonders bedrohlich
dargestellt werden, wollte ich auf zwei Bücher zum
Zusammenhang von frühem Kino und Hypnose aufmerksam
machen - Tom Gunning: The Films of Fritz Lang (BFI
2000) sowie Stefan Andriopoulos: Besessene Körper
(Fink 2000). Anbei eine Rezension beider Bücher für
Interessierte:
DER STANDARD, 17. März 2001	Hypnotische Wirkung:
Mabuse macht Schule Der Doktor lebt! Ein legendärer
Kino-Schurke sucht zwei aktuelle Publikationen heim.
Von Isabella Reicher. Seit es das Kino gibt, wird es
auch beschrieben. Jenseits der Leinwand führen Filme
auch in Büchern ein beredtes Eigenleben, das nicht
zuletzt den jeweiligen Stand der theoretischen
Auseinandersetzung erhellt. Vor diesem Hintergrund ist
es spannend zu verfolgen, wie ein- und derselbe Film
in zwei aktuellen Publikationen auf höchst
unterschiedliche Weise "lesbar" gemacht wird: Dr.
Mabuse, der Spieler - ein Wiedergänger des Kinos. 1921
inszenierte Fritz Lang, basierend auf einem populären
Sensationsroman von Norbert Jacques, damit den Auftakt
zu einer ungewöhnlichen Trilogie in Etappen: Die erste
Leinwandfassung der Machinationen des mysteriösen
Doktors, der mittels hypnotischer Einwirkung auf
Individuen, Börsenmanipulationen und Mordattacken die
Weltherrschaft anstrebt, ist ein monumentaler
Stummfilm. 1932 fand diese Erzählung mit Langs zweitem
Tonfilm Das Testament des Dr. Mabuse eine Fortsetzung.
Die 1.000 Augen des Dr. Mabuse (1960) schließlich war
der zweite und letzte Film, den der Regisseur nach
seiner Rückkehr aus der Emigration in Deutschland
drehte.Rechtzeitig zum Lang-Gedenkjahr - am 2. August
jährt sich sein Todestag zum 25. Mal - hat nun der
US-Filmwissenschafter Tom Gunning seine umfassende
Studie der Filme von Fritz Lang vorgelegt (vorerst nur
in englischer Sprache). Gunning, der mit seinem
Konzept des "Attraktionskinos" maßgeblich am Projekt
einer Neueinschätzung des frühen Kinos von seiner
Erfindung bis in die 1910er-Jahre beteiligt war und
unter anderem ein Standardwerk zu D. W. Griffith
verfasst hat, versteht Lang als einen "Autor" und
seine Filme als "Allegories of Vision and
Modernity".Der Autor und seine Filme erschaffen sich
dabei wechselseitig. Die Biographie des 1890 in Wien
geborenen Regisseurs, der zunächst in Deutschland und
nach seiner Emigration 1934 bis 1956 in den USA
arbeitete, spielt zwar mitunter in die Werkanalyse
hinein. Gunning betreibt jedoch, durch rund fünf
Jahrzehnte und einundvierzig Filme, vor allem
Motiv-Forschung:Dr. Mabuse, der Spieler wird
einerseits in Zusammenhang mit der seriellen
Aufbereitung der Machenschaften von
Verbrecherorganisationen wie Fantômas oder Les
Vampires gestellt. Zum anderen wird Langs Film als
"Allegorie der Moderne" verstanden, als ein Bild der
Langschen Weltsicht im Sinne einer "Geographie, die
von einer konstanten Zirkulation von Botschaften,
Boten und Nachrichtensystemen durchkreuzt und
abgegrenzt wird". Eisenbahn, Taschenuhr, Telefon:
Gunning nähert sich Mabuse in detaillierten
Filmbeschreibungen etwa als einem "bösen Genie", das
seine - scheinbar unbegrenzte - Macht im Raum dadurch
entfaltet, dass es die Zeit sorgfältig mit den
avanciertesten Medien und Technologien unter Kontrolle
hält.Eine ganz andere Form, mit diesem Film zu
argumentieren, hat der deutsche
Literaturwissenschafter Stefan Andriopoulos gewählt:
Sein Buch Besessene Körper. Hypnose, Körperschaften
und die Erfindung des Kinos macht Dr. Mabuse, der
Spieler zum Zentrum eines Diskurs-Terrains und lenkt
die Aufmerksamkeit auf einen historischen Hintergrund
jenseits filmgeschichtlicher oder kulturtheoretischer
Kontextualisierung.Andriopoulos ist ein Vertreter des
"New Historicism", einer im angelsächsischen Raum
derzeit prominenten Richtung der Filmtheorie -
geschult an den Shakespeare-Studien von Stephen
Greenblatt. Besessene Körper ist eines der ersten
deutschsprachigen Werke, die dieser wissenschaftlichen
Methode folgen, die eigentlich keine ist, sondern mehr
eine bestimmte "Haltung" zu ihrem Gegenstand einnimmt:
"New Historicism geht von der Geschichtlichkeit der
Texte und der Textualität der Geschichte aus." (Anton
Kaes) - damit ist die Verzahnung bereits angedeutet,
die hier vorgenommen wird und bei der der Film als ein
"historisches Ereignis" neben anderen
firmiert.Andriopoulos' Interesse gilt bestimmten
Begriffsformationen und ihrer Zirkulation in
Literatur, Medizin und Rechtswissenschaft: Er stellt
eingängig die vielfältigen Debatten um Hypnose und
Körperschaften im späten 19. und beginnenden 20.
Jahrhundert dar. Diese kreisen immer wieder um das
(fiktive) Bedrohungsszenario möglicherweise unter
Hypnose begangener Verbrechen oder um die Frage nach
der Haftbarmachung von "juristischen Personen" und
erfinden ihre eigenen Wiedergänger und Untoten.Dabei
kommt schließlich auch Dr. Mabuse ins Spiel. Der Film
benutzt diese Topoi nicht nur als Handlungsmomente,
sondern lässt das Kino selbst als eine hypnotische
Apparatur erscheinen. Obwohl die eigentliche
Filmbetrachtung hier nur rund zwanzig Seiten ausmacht,
gelingt es Andriopoulos, das Bezugsfeld für eine
Beschäftigung mit Langs Film und mit dem Weimarer Kino
entscheidend zu erweitern. [] Stefan Andriopoulos,
Besessene Körper. Hypnose, Körperschaften und die
Erfindung des Kinos. öS 350,-/ 208 Seiten, Wilhelm
Fink Verlag, 2000. Tom Gunning, The Films of Fritz
Lang. Allegories of Vision and Modernity. ca. öS
419,-/ 528 Seiten, bfi 2000. Die Retrospektive des
Filmarchivs Austria, die das Gesamtwerk von Fritz Lang
und ausgewählte Referenzfilme zeigt, wird am 22.3. um
20.00 im Wiener Gartenbau-Kino mit der
Österreich-Premiere der digital restaurierten Fassung
von "Metropolis" eröffnet. Die Retrospektive läuft von
23.3. bis 6.5. im Wiener Imperial-Kino. Info: 01/ 533
32 23 (Imperial), 01/ 216 13 00 (Filmarchiv). Zur
Filmschau erscheint ein umfangreicher Katalog.  © DER
STANDARD, 17./18. März 20001Automatically processed by
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