Katja Mruck on 30 May 2001 13:35:08 -0000


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Re: [rohrpost] wissenschaftliche publikationen


liebe elisabeth,

irgendwie habe ich - wahrscheinlich auch, weil ich arg in
wissenschaftliches publizieren im internet involviert bin - diesen
ganzen diskussionsstrang nicht mitbekommen & finde auch die
vorlaeufer-mails nicht mehr. 

wir bemuehen uns seit nun zwei jahren um die realisierung einer
online-zeitschrift fuer qualitative forschung. hierzu & zu der mail, die
grade gekommen ist, ein paar gedanken:

- was mir bei uns immer wieder aufgefallen ist: wir sind wiss.
print-zeitschriften gewoehnt, mit ihnen & durch sie sozialisiert &
greifen im ersten moment eben nach dem, was wir kennen & was wir in der
scientific community als "akzeptiert" wissen/vermuten. dies gilt fuer
inhalte, fuer das peer-review, fuer gestaltung usw. um diese bahnen zu
verlassen, muessen wir erst einmal begreifen, dass wir in ihnen
feststecken auch an stellen, an denen dies unnoetig oder dysfunktional
ist. dies hat sich im falle unserer zeitschrift etwa darin gezeigt, dass
wir brav die ueblichen wortzahlen fuer journal-beitraege uebernommen
haben & erst nach einiger zeit bemerkten, dass dies fuer eine
internet-zeitschrift voelliger unsinn ist: idealerweise koennen wir zb
eine knappe oberflaechenstruktur mit einigen informationen & eine immer
tiefer selbst in empirische daten hinein verzweigende tiefenstruktur
fuer interessierte leser(innen) bieten.

- um diese bahnen zu verlassen, reicht nicht unsere bereitschaft
neu-/umzudenken: innovatives in inhalt & form zu probieren, kostet
zeit/geld (in unserem fall neben sachkosten management, technik, [engl.]
copyediting), & selbst wenn gelder zb ueber drittmittelprojekte
eingeworben werden koennen, sind die vorstellungen, was wofuer an
geldern veranschlagt/gezahlt wird & was nicht, tlw. abenteuerlich (1/2
studentische hilfskraft zb fuer die techn. realisierung/gestaltung ...).
dass das so ist, ist zum einen belastend & verlangsamt innovation in
einem erheblichen umfang. zum anderen sind knappe ressourcen auch ein
motor fuer erfindungsgeist. wieder auf unsere zeitschrift hin gedacht:
wenn es so ist, dass wir international rezipiert & genutzt werden
wollen, & wenn es so ist, dass wichtige mittel hierzu (mehrsprachiges
copyediting) ebenfalls nur sehr sehr eng finanziert wird, muessen wir
andere wege der kooperation/gestaltung finden, dh zb patchwork-arbeiten:
ein gesamt-paket copyediting englisch zerfaellt dann eben in 1/3
bezahlte arbeit, in 1/3 unbezahlte, freiwillige arbeit durch
unterschiedliche assoziierte assistent(inn)en, 1/3 ebenfalls unbezahlte
arbeit durch verschiedene beiratsmitglieder usw. (unbezahlt heisst
nicht-in-geld-bezahlt: es gibt aber eine art gegenwert durch
schreibbares in der vita, durch renommee usw.). solches
internationale/interdisziplinaere "patchworken" waere ohne das internet
m.e. voellig undenkbar, & ich vermute, dass noch mehr solcher
improvisorien denkbar & moeglich sind (wer lust hat, uns bei der
gestaltung usw. in irgendeiner weise zu helfen, ist hiermit
selbstverstaendlich herzlich eingeladen ;-)

- ebenfalls notwenig ist, dass die, mit denen wir & fuer die wir
arbeiten, anfangen, diese bahnen zu verlassen. da nuetzt klagen wenig,
der stand ist, wie er ist, & wir koennen nur sukzessive versuchen, zu
mehr erfindungsgeist & zu diesem neuen medium zu ermutigen. insoweit
bleibe ich geduldig gegen die, die mich anrufen, ob sie mir ein fax
schicken koennen, damit wir das ins discussion board bringen & freue
mich ueber die, die zu experimentieren beginnen (ein solcher versuch
findet sich zb fuer die 5. schwerpunktausgabe unserer zeitschrift, die
in den naechsten tagen im netz sein wird, unter
http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/2-01/2-01review-roth-e.htm).
perspektivisch werden wir versuchen, fuer die unterschiedlichen
lesegewohnheiten das eine - neue - & das andere - traditionelle -
parallel anzubieten, dh in unserem falle werden html-dateien &
adobe-dateien immer mehr auseinanderwandern. insoweit kann es zwar sein,
dass sich einige leser(innen) "falsch" verhalten & "auf die geänderten
bedingungen des mediums nicht ein[gehen]", aber ich habe in den letzten
beiden jahren immer wieder erlebt, dass ein geduldiges vertrautmachen
teilweise erstaunliche fruechte selbst bei arg
technik-/internetphobischen menschen tragen kann. 

> ja, und viele haben einfach keine zeit dazu, sich ernsthaft darüber
> gedanken zu machen. es ist so schon der druck groß genug, ständig zu
> publizieren - noch in den herkömmlichen bahnen.
hier ist ein weiteres manko neben vielen anderen, dass die vg wort fuer
wiss. online-publikationen nicht zahlt. aber wie bei der frage nach dem
geld: es gibt in der regel andere gegenwerte, die nahegebracht werden
koennen, zb hat mich vor ein paar tagen einer unserer autoren angerufen
& war ueberrascht, dass nach einer engl. veroeffentlichung zahlreiche
mails aus aller welt zu ihm kamen mit nachfragen zu seiner arbeit, ob
noch anderes engl. verfuegbar ist usw. <- das will aber eben erst
erfahren sein ... 
 
> diese wissenschaftlichen publikationen
> sollten also besser ins netz gestellt werden als in einer bibliothek
> vereinsamen, oder? - in einer umsetzung, die die oben genannten
> überlegungen miteinbezieht.
da gibt es bereits einiges interessantes in den naturwissenschaften ->
sozial-, kultur-, geisteswissenschaften sollten hiervon lernen koennen.
zum stand siehe z.b. die Scholarly Electronic Publishing Bibliography
(http://info.lib.uh.edu/sepb/sepb.html), das D-lib Magazine
(http://www.dlib.org/), das Open Citation Project
(http://opcit.eprints.org/), das Los Alamos Eprint Archive for Physics
and Associated Disciplines (http://xxx.lanl.gov/) -> vielleicht ist da
ja auch der eine oder andere intressante beitrag zu wiss. publizieren
fuer dich dabei.

herzliche gruesse,
katja

-- 
FQS - Forum Qualitative Sozialforschung 
/ Forum: Qualitative Social Research (ISSN 1438-5627)

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