krystian on 7 Jun 2001 07:54:59 -0000


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[rohrpost] TELEPOLIS: Hauptstadt-Schmooze


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von Krystian Woznicki  <krystian@snafu.de> gesandt.

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 Hauptstadt-Schmooze
 
 Armin Medosch   07.06.2001 
 
 Digitale Jungunternehmer aus Berlin und London verkabeln ihre Laptops 
 
 
 
  Das Wort "schmooze" kommt eigentlich aus dem amerikanischen Englisch1 
und bedeutet, eine Art intimer Konversation zu führen, die zugleich mit 
geschäftlichen Absichten verbunden sein könnte, die aber nicht im 
Vordergrund stehen. Vor allem in der jüngst zu Ende gegangenen ersten 
Blüte der New Economy war "schmooze" auf Parties und Empfängen am Rande 
größerer Konferenzen eine der bevorzugten, wenn nicht die 
hauptsächliche, Art des Gesprächs, um an Insider-Informationen und 
Aufträge zu kommen. "Schmooze" ist jedenfalls ein wichtiger modus 
operandi der New Economy. Nun hat man sich scheinbar an höherer Stelle 
in Berlin und London gedacht, dass es nicht schaden könne, wenn die 
"jungen Kreativen" der beiden Städte ihre Laptops miteinander verkabeln 
würden. Dienstag abend im ICA in London sah den Auftakt einer von 
 Berlin Partner [0] offiziell organisierten Schmoozing-Party.  
 
 
 
 Kultur, Kreativität und Kommerz 
 
 
 
 Das Institute of Contemporary Arts (  ICA [1]) befindet sich in einem 
der Krone gehörenden Gebäude und war kurz nach dem Krieg gegründet 
worden, als sich England in einer Aufbruchsphase befand und sich trotz 
wirtschaftlicher Nöte und andauernder Rationierungen mit Begeisterung 
der Moderne in jeder Hinsicht widmete. Die Surrealisten, die 
Situationisten, französischer Avantgarde-Film und amerikanische Pop Art 
wurden dort seinerzeit erstmals einem englischen Publikum präsentiert. 
Doch von Aufbruch ist in den stuckverzierten Räumlichkeiten in den 
oberen Stockwerken des Instituts wenig zu spüren. Wie dessen Direktor 
Philip Dodd in seiner kurzen Eröffnungsrede betonte, sieht das ICA 
seine Hauptaufgabe nicht in der Förderung zeitgenössischer Kunst, die 
am Betteltropf von Subventionen hängt, sondern in der Förderung 
"junger, kreativer Unternehmen", wofür es, seine Wortwahl, den heute 
vornehmlich gebräuchlichen Ausdruck "cultural Entrepreneurs" gibt. 
 
 Doch während "culture" keine Übersetzung benötigt, außer vielleicht 
den Hinweis, dass es sich im Englischen auf "vulture" (Geier) reimt, 
ist "Entrepreneur" mit "Unternehmer" nur unzulänglich übersetzt. 
Bezeichnet ist hiermit ein Unternehmertum, das sich an die Randzonen 
des kommerziell Erschließbaren begibt, das in den diversen 
Traumfabriken von Film, Pop, Werbung und Medien jene Bereiche urbar 
macht, die bislang noch als nichtkommerzielles Terrain galt, sondern 
als radikale Avantgarde, als Underground oder Subkultur. Herr Dodd gilt 
nicht nur als New-Labour-Intimus, sondern auch als ein ausgesprochener 
Vertreter jener Vermählung zwischen Kreativität und Kommerz, die 
New-Labour-Think-Tanks schon vor Jahren als ein signifikantes 
Wirtschaftswachstumspotential insbesondere für London identifizierten. 
Dodd machte seit 1997 das ICA zum Brennpunkt dieser mit dem Schlagwort 
Cool Britannia assoziierten Business-Strategie, womit es sich als 
idealer Schauplatz für die Annäherung von Londoner und Berliner 
Jungkreativen anbot. 
 
 
 
 Kreativ an der Spree 
 
 
 
 Da saßen sie dann also, die Aushängeschilder des berlinerischen 
Neue-Medien-Jungunternehmertums, im Theatersaal des ICA, jede/r einen 
Laptop vor sich, ich glaube es waren sechs Apple und ein Vaio, und 
sahen vor allem sauber und frisch aus. Von  Triad [2] über  Berlinbeta 
[3] bis hin zu  pReview [4],  Playframe [5]bis hin zu den nicht mehr 
ganz so jugendlichen  Art+Com [6] gab es kurze und professionelle 
Projektpräsentationen, gegen die im Einzelnen nichts einzuwenden ist. 
Stilsichere Grafik, fundierte Usability-Studien, solide Programmierung, 
reale Virtualität, waren so einige der aufgeschnappten Schlagworte, die 
aus den beschreibenden Wortgeschwadern der Berliner Digitalgestalter 
hervorstachen. Diese Tendenz sollte sich später im oberen Stockwerk 
fortsetzen, wo die eher designorientierten Firmen wie  Moccu [7], 
 garderobe23 [8],  defcom [9] und  moniteurs [10] an Stehtischen vor 
Laptops Interessierten ihre Arbeiten zeigten, nebst Genuss großzügig 
bereitgestellter Mengen an Becks. Was die stur an Vorurteilen über 
Deutsche festhaltenden Engländer sicher überraschte, war der Umstand, 
dass die Präsentationen sogar richtig locker und lustig waren, wozu 
der, wenn ich mich nicht irre, mit wienerischem Akzent Englisch 
sprechende Sebastian Peichl als Moderator das "Seinige" beitrug. Von 
verschiedenen Sprechern betont wurde, dass man eine zweigleisige 
Strategie verfolge. Mit Aufträgen für Großkunden wie DaimlerChrysler 
und Deutsche Telekom werde das nötige Kleingeld für Miete und Unterhalt 
verdient, während man den Rest der wertvollen Zeit in eigene - 
übersetze mit "künstlerische" - Projekte ohne kommerzielle 
Hintergedanken investieren würde. Ebenfalls betont wurde, dass man in 
Berlin gerne eine Party feiert, weil die ganze Arbeit doch keinen Sinn 
machen würde, wenn man zwischendurch nicht auch ordentlich Spaß hat. 
 
 
 
 Rat Race in London 
 
 
 
 Es spricht sicherlich nur der Neid aus einem Wahllondoner, wenn ich 
diesem idyllischen Bild von den enormen Freiräumen zwischen Kuhdamm, 
Mitte und Treptow im folgenden ein wenig gegenhalten möchte. Auch in 
London wurde früher viel von diesen doppelgleisigen Strategien geredet. 
Tagsüber schuftet man für die zahlende Kundschaft, abends und nachts 
geht man seinen künstlerischen Hobbies nach. Doch spätestens seit 1998 
hört man weniger und weniger davon. Dafür gibt es zwei Hauptgründe. In 
der Boomphase der New Economy schossen vor allem auch die Mieten im 
Web-Designer Eldorado Shoreditch in astronomische Höhen. Zugleich gab 
es durch die gute Auftragslage für diejenigen, die ordentlich Geld 
verdienen wollten, ausgiebig Gelegenheit dazu. Die Formel veränderte 
sich, leicht, aber signifikant. Von da an hieß es "tagsüber arbeiten 
wir hart für unsere kommerziellen Auftraggeber und nachts arbeiten wir 
auch hart für unsere kommerziellen Auftraggeber". Was da noch an Zeit 
übrig blieb, wurde mit der Betäubung des Zentralnervensystems 
verbracht. Der Flexecutives-Traum [11] zerbrach und übrig blieb eine 
Entscheidung: Wer sich wirklich der Kunst widmen will, tut das, um den 
Preis eines wesentlich härteren Existenzkampfes. Wer Geld verdienen 
will, schmeist seine künstlerischen Jugendträume über Bord und widmet 
sich voll dem Geschäft, wobei zumindest noch die Option bleibt, 
möglichst nur interessante Aufträge anzunehmen und eine gewisse 
Business-Ethik zu wahren, was die Beziehungen zu ausländischen 
Investoren (multinationale Design-Agenturen, die inzwischen die besten 
Londoner Firmen aufgekauft haben) ebenso wie zu den eigenen 
Mitarbeitern betrifft. 
 
 
 
 Berliner Mythen 
 
 
 
 Ich würde mal vermuten, dass es eigentlich in Berlin gar nicht so viel 
anders ist. Vielleicht sind die Mieten noch etwas billiger, ganz gewiss 
die Drinks und die Zigaretten. Vielleicht hat die deutsche Hauptstadt 
nicht diesen kolossalen Druck auszuhalten, der auf Londoner Preisen und 
Lebensumständen lastet, weil sich hier das größte Finanzzentrum der 
Welt befindet, was sich auf alle kommerziellen Aspekte durchschlägt. 
Doch die Rede vom künstlerisch-kommerziellen Doppelleben klang schon 
ein wenig nach Lebenslüge oder zumindest nach Selbstsuggestion. Richtig 
verdächtig erschienen die zahlreichen Verweise auf die 
"Aufbruchsstimmung" nach dem Fall der Mauer und auf das wilde 
Party-Leben in illegalen Clubs im noch nicht vom Immobilienmarkt 
durchgegrasten Mitte und angrenzenden Revieren Anfang der neunziger 
Jahre. Dies scheint heute zu einem fixen Bestandteil des Berlin-Mythos 
zu gehören, etwas, wovon sich zehren lässt, worauf sich Identitäten 
gründen und was sich leicht zu einer beständigen Quelle der Inspiration 
und Unangepasstheit verklären lässt. 
 
 
 
 Fazit 
 
 
 
 Berlin versteht sich zu promoten. Während man in Hamburg, Düsseldorf, 
München, Köln und anderswo in deutschen Landen ebenso sein Geld in 
neuen Medienberufen zu verdienen weiß, genügt sich Berlin nicht darin, 
eben das zu tun, sondern muss auch noch dauernd davon reden. Insofern 
sind sich Berlin und London recht ähnlich. London könnte nicht 
funktionieren, wenn die hiesigen hart in Selbstausbeutung schuftenden 
Designer-Kreativen sich nicht dauernd einreden könnten, in der 
großartigsten Stadt der Welt zu leben. Dabei ist dieses Gerede nicht 
einfach nur heiße Luft, sondern das, was die Bubble weiter expandieren 
lässt. London ist, neben New York, Weltmeister in der Erhaltung und 
Erweiterung des Hype als Wirtschaftsfaktor. Berlin scheint sich davon 
ein Scheibchen abschneiden zu wollen, so ein klein wenig 
hinterherhinkend, aber zuversichtlich irgendwann aufzuschließen. Was 
völlig ausgeklammert bleibt bei solchen Gesprächen, sind Fragen zu 
wirklichen Inhalten: z.B. nach der Relevanz von Design im Verhältnis 
zum gesellschaftlichen Umfeld; zu den möglicherweise scharfen 
Gegensätzen zwischen Auftragsarbeiten für DaimlerChryslerBertelsTelekom 
und einer freien künstlerischen Arbeit; zur Definition des Begriffs 
"Arbeit" solcher junger Designfirmen im Kontext gegenwärtiger 
politischer Ökonomie; schlicht, Fragen zu allem, was irgendwie am Rande 
politisch sein könnte. Diese werden entweder nicht gestellt oder man 
blödelt sich darüber hinweg. Wohin das alles führt? In der 
Nachfolge-New-Economy verkauft man weiterhin vor allem Träume und 
Illusionen. Business kann cool und funky sein. Kapitalismus ist nicht 
so schlecht wie es scheint. Irgendwann werde ich mein Buch schreiben, 
ein Album komponieren, die Medienkunst revolutionieren. Bis man 
verkatert am nächsten Morgen wieder vor der Kiste sitzt und die ersten 
siebzig E-Mails des Tages herunterlädt, unter einem Himmel, der so grau 
ist wie ein toter Fernsehkanal ... 
 
 Teil 1 des  Hauptstadt-Schmooze [12] im ICA dauert noch den ganzen 
Juni, begleitet von  Ausstellungen [13] und Clubbing-Events. Teil 2 
findet Ende Juni in Berlin mit Londoner Jungunternehmern und anderen 
Kreativen statt. 
 
 
 
  
 
  Literaturangaben
 
  
 
 1) Abgeleitet von dem jiddischen Verb "schmuesn" - eine Konversation 
führen, tratschen 
 
  
 
 Links 
 
 [0] http://www.berlin.de/home/Land/Bundeshauptstadt/Partner/
 [1] http://www.ica.org.uk/
 [2] http://www.triad.de/
 [3] http://www.berlinbeta.de/
 [4] http://www.preview-design.com/
 [5] http://www.playframe.de/
 [6] http://www.artcom.de
 [7] http://www.moccu.com/
 [8] http://www.garderobe23.de/
 [9] http://www.defcom.de
 [10] http://www.moniteurs.de
 [11] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/glosse/2625/1.html
 [12] http://www.ica.org.uk/season/berlin_season/
 [13] http://www.ica.org.uk/exhibition/123008/?version=1
 
 Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/konf/7840/1.html 
 
 
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