Holger Kube_Ventura on 6 Aug 2001 14:47:47 -0000 |
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[rohrpost] kurze Geschichte der Werkleitz Gesellschaft e.V. |
Asterix im Medienland Wir befinden uns im Jahre 1996 n.Chr. Ganz Deutschland ist von den Kosmopoliten besetzt. Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Medienkunstschaffenden bevölkertes Dorf hört nicht auf, den Großstädtern Alternativen aufzuzeigen. Und das Leben ist nicht leicht für die sachsen-anhaltinischen Kulturpolitiker, die in den befestigten Lagern Magdeburgorum, Dessaurium und Halleseisdrum liegen... Nun ja, genau genommen sind es zwei Dörfer (sie heissen Werkleitz und Tornitz, liegen im Elbe-Saale-Winkel und haben zusammen rund 600 Einwohner) und die unbeugsamen Medienkunstschaffenden sind nur eine kleine Enklave darin. Vor zehn Jahren machten sich ein paar Filmstudenten aus Stuttgart auf den Weg, um nach dem Mauerfall in den neuen Bundesländern ein Haus im Grünen zu suchen. Zufällig stiessen sie dabei auf eine alte verfallene Ziegelei in Werkleitz, kauften sie und waren dann erstmal lange mit der Instandsetzung beschäftigt. Als die gröbsten Bauarbeiten erledigt waren, begann der Freundeskreis mit Massnahmen zur Vermeidung der künstlerischen und sozialen Vereinsamung - man musste (und muss auch heute noch) einiges tun, um Freunde und Kunstschaffende in diese abgeschiedene Gegend zu locken. Also wurde unter dem Namen „Werkleitz Gesellschaft“ Anfang 1993 ein gemeinnütziger „Verein zur Förderung und Realisierung von Film-, Kunst- und Medienprojekten“ mit Sitz in der Ziegelei gegründet. Und unter dem Titel Tapetenwechsel wurde dann im Sommer eine erste große Ausstellung realisiert, bei der 41 KünstlerInnen und Gruppen für einige Tage ihre Arbeiten präsentierten. Die Bandbreite umfasste Filme, Malerei, Installationen, Performances bis hin zu klassischer und zeitgenössischer Musik und gab damit die grenzüberschreitende Struktur der nachfolgenden Großprojekte vor, die seit 1996 alle zwei Jahre unter der Bezeichnung Werkleitz Biennale realisiert werden. Solche Aktivitäten waren damals in Sachsen-Anhalt konkurrenzlos und wurden vom Kultusministerium auch honoriert: Anfang 1994 erhielt die Werkleitz Gesellschaft e.V. großzügige Mittel zum Technikankauf und der Meilenstein des Jahres 1996 war dann, dass eine institutionelle Förderung hinzukam, die ein jährliches Betriebsbudget und die Überführung der ehrenamtlichen Arbeit in vier feste Angestelltenverhältnisse plus diverse Honorarverträge erlaubte. Darüberhinaus stellte die Gemeinde ein ehemaliges Konsumgebäude in Tornitz als Zentrale zur Verfügung. Fortan konnte die neu gegründete Institution dort zu recht als experimentierfreudigstes und exotischstes Medienzentrum Deutschlands gelten. Die Werkleitz Gesellschaft leistet seitdem sowohl die Arbeiten eines Medienbüros, als auch die einer Medienwerkstatt: Medienkunstschaffende werden bei der Verwirklichung von unkommerziellen Video-, Film-, Internet-, Multimedia- und Kunstprojekten unterstützt. Und zwar durch Beratung, Vermittlung und technische Ausstattung. Weitere Angebote umfassen eine eigene Stipendienstruktur (European Media Artists in Residence Exchange, Werkleitz Projektstipendium, Werkleitz Kunststipendium, Werkleitz Award) sowie regelmäßige Workshops zu digitaler Bild- und Videobearbeitung (Avid), zur Kameraführung (Betacam, DVCam, Super8, 16mm) und manchmal auch zu kulturtheoretischen Themen. Darüberhinaus betreibt die Werkleitz Gesellschaft die Internet-Datenbank oVid für Experimentalfilm und Videokunst, eine Präsenz-Videothek sowie ein Internetcafé (mit 2MB-Standleitung) und bietet kostenlosen Webspace auf ihrem eigenen Server an. Sie ist ausserdem Redaktionssitz des Kulturservers Sachsen-Anhalt und betreut den produktionstechnischen Bereich der kulturellen Filmförderung des Landes. Trotz dieser Tätigkeitsbandbreite ist das Medienzentrum nur temporär voll ausgelastet, denn viele Video- und Kunstschaffenden wissen nichts von diesen Angeboten oder scheuen die Anreise (mit dem Zug dauert sie z.B. von Berlin etwa zweieinhalb Stunden). Ein weiterer Grund dafür mag die mittlerweile grosse Bekanntheit der Werkleitz Biennale sein, mit der die Werkleitz Gesellschaft zuweilen gleichgesetzt wird: 1996 fand unter dem Titel cluster images die zweite Ausgabe statt - ausgewählte Einzelprogramme und Teile ihres Ausstellungsbereiches wurden anschließend in Magdeburg, Dessau und Halle (den befestigten Lagern) präsentiert. Zur 3. Werkleitz Biennale: sub fiction (1998) wurden erstmals sechs Gastkuratoren berufen, die in den Sektionen Film/Video, Bildende Kunst, Performance und Internet dann bereits 78 Arbeiten und Projekte von 71 KünstlerInnen aus 15 Ländern auswählten und betreuten. Vier TV-Stationen berichteten damals über dieses viertägige Festival und speziell das tätowierte Schwein des belgischen Künstlers Wim Delvoye wurde zum Medienereignis. Neben den ca. 4.000 Besuchern vor Ort erlangte die Website rund 100.000 Hits. Mit dieser Ausgabe wurde die Werkleitz Biennale zum größten Medienkunstfestival dieser Art in den neuen Bundesländern. Die vierte Biennale im Sommer 2000 konzentrierte sich stärker als die vorangegangenen auf die thematische Verbindung zwischen ihren Sektionen. Unter dem Titel real[work] wurde die regionale und globale Diskussion um den sich verändernden Begriff von Arbeit und seiner gesellschaftlichen Bewertung aufgenommen - ein Thema, das gerade für die ländliche Region Sachsen-Anhalts mit einer Arbeitslosenquote von zur Zeit etwa 25% eine besondere Relevanz hatte. Auch bei dieser Ausgabe wurde das Kuratorien-Modell nach Sparten aufrechterhalten und die nunmehr fünftägige Biennale bestätigte den regional und international hohen Stellenwert dieser Veranstaltung. Die Jubiläumsausgabe der Werkleitz Biennale wird im Sommer 2002 nach Zusammenhängen zwischen Staatangehörigkeit und Kultur fragen und sich dabei auf Rassismen im Multikulturalismus konzentrieren. Es geht also weiter in dem kleinen Dorf mit den unbeugsamen Medienkunstschaffenden - es sei denn, es fällt ihnen doch einmal der Himmel auf den Kopf. Das ca. 60 Kilometer entfernt liegende befestigte Lager Halle wird vom Land gerade zum 'Medienstandort Halle' ausgebaut. Und bei „Asterix im Morgenland“ (Band XXVIII) versenken die Helden das Piratenschiff ausnahmsweise einmal nicht - das besorgt diesmal der Schwarze. Er verkündet: „Sie k´iegen uns nicht Käpt´n! Die Eh´e ist ge´ettet! Ich hab´ den ´umpf du´chschlagen!“ - das Schiff säuft ab. Und der notorische Piratenopa lateinert mal wieder „Sic transit gloria mundi.“ Werkleitz Gesellschaft e.V. Straße des Friedens 26 D-39249 Tornitz fon: +49-(0)39298-675-0 fax: +49-(0)39298-67555 mail: info@werkleitz.de http://www.werkleitz.de ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste fuer Medien- und Netzkultur Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost Info: http://www.mikro.org/rohrpost Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de