Axel Diederich on 19 Sep 2001 13:38:55 -0000 |
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[rohrpost]USA: Robert Kurz zu New York |
>Robert Kurz zu New York >Von : redaktion eins >Email: redaktion1@mail.nadir.org >Ort : USA >Datum: 18.09.2001 > > > >Robert Kurz zu New York > > >Robert Kurz zu New York > >TOTALITÄRE ÖKONOMIE UND PARANOIA DES TERRORS >Der Todestrieb der kapitalistischen Vernunft > >Große und symbolische Katastrophen sind in der Geschichte der Menschheit >immer wieder Anlaß zu einer Besinnung gewesen, in der die Mächtigen der >Welt ihre Hybris ablegen, Gesellschaften sich selbst reflektieren und ihre >Grenzen erkennen. Nichts dergleichen ist nach dem Kamikaze-Angriff auf die >Nervenzentren der USA in der kapitalistischen Weltgesellschaft zu >beobachten. Fast scheint es so, als hätte der barbarische Angriff aus dem >Dunkeln der Irrationalität nicht nur das World Trade Center platt gemacht, >sondern auch den letzten Rest von Urteilsvermögen der weltdemokratischen >Öffentlichkeit. Diese Gesellschaft will sich im Spiegel des Terrors nicht >selbst erkennen, sondern sie wird unter dem Eindruck des Grauens sogar >noch selbstgefälliger, bornierter und unreflektierter als zuvor. Je >gewaltsamer sie auf ihre Grenzen hingewiesen wird, desto heftiger pocht >sie auf ihre Macht und desto sturer kultiviert sie ihre Eindimensionalität. > >Nach dem Terrorschlag verhalten sich die Funktionseliten, die Medien und >das Fußvolk des globalen Systems von "Marktwirtschaft und Demokratie", als >wären sie allesamt Schauspieler und Statisten in einer Realinszenierung >des Films "Independence Day". Hollywood ahnte ein apokalyptisches Ereignis >voraus und verfilmte es als Darstellung von patriotischem Kitsch und >hinterwäldlerischer Moral. So hat die Kulturindustrie die Wirklichkeit der >Katastrophe banalisiert und entwirklicht, bevor sie überhaupt wirklich >wurde. Die spontane Trauer und Fassungslosigkeit wird überlagert von den >falschen Ritualen eines programmierten Reaktionsmusters, das jedes >Verständnis für den inneren Zusammenhang von Terrorismus und herrschender >Ordnung unmöglich macht. > >Die Verhärtung des offiziellen demokratischen Bewußtseins zur wütenden >Besinnungslosigkeit wird deutlich, wenn der Laiendarsteller des >US-Präsidenten einen "monumentalen Kampf des Guten gegen das Böse >beschwört. Durch dieses naive Weltbild werden die eigenen inneren >Widersprüche nach außen projiziert. Es ist das elementare Schema aller >Ideologie: Statt den Komplex der Zusammenhänge aufzudecken, in die man >selbst verwickelt ist, muß eine fremde Ursache für die Ereignisse gefunden >und ein externer Feind definiert werden. Aber im Unterschied zu den >pubertären Traumwelten Hollywoods wird es in der harten Wirklichkeit der >zerbrechenden Weltgesellschaft kein happy end geben. > >In dem Film "Independence Day" sind es sinnigerweise Außerirdische, die >"Gottes eigenes Land" angreifen und natürlich heroisch zurückgeschlagen >werden. Diesen Part des außerweltlichen, außerkapitalistischen und >außervernünftigen Aliens soll nun offenbar der militante Islamismus >übernehmen, als handle es sich um eine soeben entdeckte fremde Kultur, die >sich als finstere Bedrohung entpuppt. Auf der Suche nach dem Ursprung des >Bösen blättert man im Koran, als ließen sich dort die Motive für die sonst >unerklärlichen Taten finden. > >Aufgestörte westliche Intellektuelle entblöden sich nicht, den Terrorismus >als Ausdruck eines "vormodernen" Bewußtseins zu bezeichnen,das die Epoche >der Aufklärung verpasst habe und deshalb die wunderbare westliche >"Freiheit zur Selbstbestimmung", den freien Markt, die liberale Ordnung >und überhaupt alles Gute und Schöne der westlichen Zivilisation in Akten >des blinden Hasses "verteufeln" müsse. Als hätte es nie eine >intellektuelle Reflexion über die "Dialektik der Aufklärung gegeben" und >als hätte sich der liberale Begriff des Fortschritts in der katastrophalen >Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht längst blamiert, kehrt in der >Verwirrung über den neuartigen Akt des Wahnsinns die ebenso arrogante wie >ignorante bürgerliche Geschichtsphilosophie des 18. und 19. Jahrhunderts >als Gespenst zurück. Im krampfhaften Versuch, die neue Dimension des >Terrors einem fremden Wesen zuzuschreiben, fällt das >westlich-demokratische Räsonnement endgültig unter jedes intellektuelle >Niveau. > >Aber die Tatsache des inneren Zusammenhangs aller Erscheinungen in der >globalisierten Gesellschaft läßt sich so billig nicht wegdefinieren: Nach >fünfhundert Jahren blutiger Kolonial- und Imperialismusgeschichte, nach >hundert Jahren einer gescheiterten staatsbürokratischen Industrialisierung >und nachholenden Modernisierung, nach fünfzig Jahren destruktiver >Integration in den Weltmarkt und zehn Jahren unter der absurden Herrschaft >des neuen transnationalen Finanzkapitals gibt es in Wahrheit keinen >exotischen orientalischen Raum mehr, den man als fremd und äußerlich >begreifen könnte. Alles, was heute geschieht, ist unmittelbar oder >vermittelt ein Produkt des zwanghaft vereinheitlichten Weltsystems. Die >One World des Kapitals ist selber der Schoß, der den Mega-Terror gebiert. >Es war die militante Ideologie des westlichen ökonomischen Totalitarismus, >die den ebenso militanten neo-ideologischen Wahnvorstellungen den Weg >geebnet hat. Das Ende der staatskapitalistischen Ära und ihre! > r Ideen wurde zum Anlaß genommen, die kritische Theorie überhaupt zum > Schweigen zu bringen. Die Widersprüche der kapitalistischen Logik durften > nicht mehr zur Sprache kommen, sie wurden für nicht existent und die > Frage der sozialen Emanzipation jenseits des warenproduzierenden Systems > für irrelevant erklärt. Mit dem vermeintlich endgültigen Sieg des Markt- > und Konkurrenzprinzips begann die intellektuelle Reflexionsfähigkeit der > westlichen Gesellschaften zu erlöschen. Die Menschen dieser Welt sollten > identisch werden mit kapitalistischen Funktionen, obwohl die Mehrheit > bereits als "überflüssig" abgestempelt war. > >Während die finanzkapitalistischen Krisenmechanismen des Shareholder Value >Milliarden von Menschen in Armut und Verzweiflung stürzten, sang die >Mehrheit der globalen Intelligentsia wie zum Hohn das Lied des >marktwirtschaftlich-demokratischen Optimismus. Sie haben jetzt die >Quittung bekommen: Wenn die kritische Vernunft verstummt, tritt an ihre >Stelle der mörderische Hass. Die objektive Unhaltbarkeit der herrschenden >Produktions- und Lebensweise macht sich dann nicht mehr auf rationale, >sondern auf irrationale Weise geltend. So folgte auf den Rückzug der >kritischen Theorie der Vormarsch des religiösen und ethno-rassistischen >Fundamentalismus. Solange sich die grundsätzliche emanzipatorische >Kapitalismuskritik nicht neu formiert, werden die Ausbrüche von sozialer >und ideologischer Paranoia zum alleinigen Gradmesser für das Ausmaß, in >dem die Widersprüche der Weltgesellschaft herangereift sind. Unter diesen >Bedingungen bedeutet die neue Qualität des Mega-Terrros in den USA, daß! > die offiziell ignorierte und heruntergeredete Krise des globalisierten > kapitalistischen Systems eine neue Dimension angenommen hat. > >Was als fremdartige Furie des Terrors erscheint, ist aber nicht nur auf >dem Nährboden der marktwirtschaftlichen One World herangewachsen, sondern >auch von den repressiven Machtapparaten der westlichen Demokratien selber >gezüchtet worden, die jetzt ihre Hände in Unschuld waschen. Es handelt >sich um Irrläufer des Kalten Krieges und der daran anschließenden >demokratischen Weltordnungskriege. Saddam Hussein wurde vom Westen gegen >das iranische Mullah-Regime aufgerüstet, das seinerseits aus der >Modernisierungs-Ruine des Schah-Regimes gekrochen war. Die Taliban wurden >von den USA gepäppelt, geschult und mit effizienten Flugabwehrraketen >ausgerüstet, weil damals alles zum Reich des "Guten" zählte, was gegen die >Sowjetunion gerichtet war. Und der jetzt zur mythischen Figur des Bösen >aufgeblasene Wirrkopf Usama bin Laden betrat aus demselben Grund >ursprünglich als "baby" der westlichen Geheimdienste die Weltarena der >bewaffneten Paranoia. Der "Sicherheits"-Imperialismus der NATO, der! > die vom Kapital nicht mehr reproduzierbare Menschheit gewaltsam unter > Kontrolle halten will, bedient sich auch aktuell befreundeter > Folter-Regimes und diverser Gestalten des Wahnsinns in der Türkei, in > Saudi-Arabien, Marokko, Pakistan, Kolumbien und anderswo. Aber weil diese > Welt aus den Fugen geht, verselbständigt sich ein Wechselbalg nach dem > anderen. Das "baby" von heute ist immer schon das "unbegreifliche > Monster" von morgen. > >Die Fürsten des Terrors, die Gotteskrieger und Clan-Milizen sind >allerdings keineswegs nur äußerlich vom Westen instrumentalisierte Kräfte, >die ihm nun zu entgleiten beginnen. Auch ihr Geisteszustand ist nicht >"mittelalterlich", sondern postmodern. Die strukturellen Ähnlichkeiten >zwischen dem Bewußtsein der marktwirtschaftlichen "Zivilisation" und dem >Bewußtsein der islamischen Terroristen können nicht allzu sehr erstaunen, >wenn man bedenkt, daß es sich bei der Logik des Kapitals um einen >irrationalen Selbstzweck handelt, der nichts anderes als säkularisierte >Religion darstellt. Auch der ökonomische Totalitarismus teilt die Welt in >"Gläubige" und "Ungläubige". Die herrschende "Zivilisation" des Geldes >kann die Abkunft des Terrors nicht rational analysieren, weil sie sonst >sich selbst in Frage stellen müßte. So definiert der angeblich aufgeklärte >Westen den Islamismus ebenso als "Werk des Teufels" wie dieser umgekehrt >den Westen. Die irrationalen dichotomischen Bilder von "Gu! > t" und "Böse" gleichen sich bis zur Lächerlichkeit. > >Was in den Köpfen der Chefterroristen vorgeht, ist seiner Natur nach nicht >bizarrer als die Art und Weise, wie die Chefmanager der globalen >Marktwirtschaft Mensch und Natur unter dem destruktiven Zwang des >abstrakten betriebswirtschaftlichen Kalküls wahrnehmen und zurichten. Der >religiöse Terror schlägt ebenso blind und sinnlos zu wie die "unsichtbare >Hand" der anonymen Konkurrenz, unter deren Regiment permanent Millionen >von Kindern verhungern - um nur ein Beispiel zu nennen, das den angesichts >der Opfer von Manhattan zelebrierten Kult der Betroffenheit in ein >seltsames Licht taucht. Wenn die Medien zwischen den Zeilen eine heimliche >Bewunderung für die ungeahnten technischen und logistischen Fähigkeiten >der Terroristen erkennen lassen, wird auch in dieser Hinsicht die >Verwandtschaft der Seelen deutlich: Beide Seiten gehören gleichermaßen der >modernen "instrumentellen Vernunft an. Denn auf beide trifft zu, was in >Melvilles "Moby Dick", dieser großen Parabel auf die Moderne,! > der unheimliche Kapitän Ahab sagt: Alle meine Mittel sind vernünftig, > nur mein Zweck ist wahnsinnig. Die Ökonomie des Terrors entspricht > spiegelbildlich dem Terror der Ökonomie. So erweist sich der > Selbstmord-Attentäter als die logische Fortsetzung des einsamen > Individuums in der universellen Konkurrenz unter den Bedingungen der > Aussichtslosigkeit. Was hier zum Vorschein kommt, ist der Todestrieb des > kapitalistischen Subjekts. Daß dieser Todestrieb dem westlichen > Bewußtsein selbst inhärent ist und nicht nur durch die soziale, sondern > auch durch die geistige Trostlosigkeit des totalitären Marktsystems > ausgelöst wird, beweisen die periodischen Amokläufe von > Mittelstandskindern in den Schulen der USA und das Attentat von Oklahoma, > das bekanntlich ein authentisches Produkt des inneren Wahnsinns der USA > war. Der auf ökonomische Funktionen reduzierte Mensch wird ebenso > verrückt wie der Mensch, den der Verwertungsprozeß als "überflüssige > Existenz" ausspuckt. Die instrumentelle Ve! > rnunft entläßt ihre Kinder. > >Weil der irrationale Kern seiner Ideologie dem islamischen >Fundamentalismus gleicht wie ein Ei dem anderen, kann der Kapitalismus nur >noch zum Kreuzzug aufrufen, zum "heiligen Krieg" der westlichen >"Zivilisation". Allein solche Opfer, die Star-Kolumnistinnen der USA, >Broker in Manhattan und Bürger der westlichen Freiheit sind, gelten als >wirkliche Opfer und werden in Gedenkgottesdiensten beweint. Der Tod von >irakischen Zivilisten und serbischen Kinder dagegen, die von Bomben aus >zehn Kilometer Höhe zerfetzt wurden, weil die kostbare Haut der US-Piloten >nicht geritzt werden durfte, erschienen nicht als Menschenopfer, sondern >als "Kollateralschaden". Sogar vor den Toten macht die globale Apartheid >nicht halt. Der westliche Begriff der Menschenrechte enthält als stumme >Voraussetzung die Verkäuflichkeit der Person und die Zahlungsfähigkeit. >Wer diese Kriterien nicht erfüllen kann, ist eigentlich kein Mensch mehr, >sondern ein Stück Biomasse. So teilt der westliche Fundamentalismu! > s die Welt auf in das angeblich zivilisierte "Reich" einerseits und die > "neuen Barbaren " andererseits, wie der französische Publizist Jean Rufin > schon Anfang der 90er Jahre feststellte. > >Das Imperium wankt. Innerhalb weniger Monate hat sich der Mythos der >ökonomischen Unverwundbarkeit durch den Zusammenbruch der "New Economy" >blamiert. Jetzt ist der Mythos der militärischen Unverwundbarkeit zusammen >mit dem Pentagon in Flammen aufgegangen. Das utilitaristische Denken der >Funktionseliten versucht sogar aus dieser Katastrophe noch Nutzen zu >schlagen. Denn mitten im Absturz der Finanzmärkte hat man plötzlich den >Stoff für eine Dolchstoßlegende: Nicht die herrschende Ordnung ist >obsolet, wenn weitere Finanzblasen platzen und womöglich die >Weltmarktwirtschaft kollabiert, sondern der "externe Schock" des >Terrorschlags soll dann die Ursache gewesen sein - so Wim Duisenberg, >Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB). Das Systemversagen wird in >die externe Bosheit der fremdartigen "Ungläubigen" umdefiniert, aber >dadurch nicht ungeschehen gemacht. > >Gleichzeitig rollt eine Welle der ebenso hysterischen wie schmalzigen >Kriegspropaganda, als schrieben wir den August 1914. Überall melden sich >zuhauf Freiwillige, mitten im Crash steigen die Aktien der >Rüstungsindustrie, fast schon macht sich Hoffnung auf eine >Kreuzzugs-Konjunktur breit. Aber klandestine Gruppen von Männern, die mit >Messern und Teppichschneidern bewaffnet sind, fordern nicht die >Massenmobilisierung und Bündelung aller gesellschaftlichen Kräfte heraus. >Der Terror stellt kein äußeres Gegenimperium auf derselben Ebene von >Staatlichkeit und Kriegswirtschaft dar. Er ist die innere Nemesis des >globalisierten Kapitals selbst. Deshalb kann er keinen neuen Rüstungsboom >hervorrufen. Auch militärisch wird der Kreuzzug ins Leere gehen. Ob >mögliche "Vergeltungsschläge" der USA wie gehabt aus zehn Kilometern Höhe >irgendeine Zivilbevölkerung dezimieren oder ob Bodentruppen unter hohen >Verlusten durch entlegene Bergregionen irren, wie es die Armee der >Sowjetunion in Afghani! > stan erfahren mußte: Aus dem Pseudo-Krieg gegen die von ihm selbst > hervorgebrachten Dämonen der Weltkrise wird der Kapitalismus keine > Nahrung für sein Fortleben mehr saugen können. > >Es sind auch Stimmen der Vernunft zu hören, von Feuerwehrleuten in New >York bis zu einzelnen Journalisten und Politikern, die wenigstens sagen, >daß ein Krieg völlig sinnlos wäre. Aber diese Vernunft droht hilflos zu >bleiben und von der Welle der Irrationalität weggeschwemmt zu werden, wenn >sie nicht zu einer Analyse der Krisenverhältnisse findet. Es gibt nur >einen Weg, dem Terror wirklich den Nährboden zu entziehen: die >emanzipatorische Kritik am globalen Totalitarismus der Ökonomie > > > > > >*** nadir-aktuell-abo -- Aboliste mit Nachrichten von http://www.nadir.org >*** Beitraege: nadir-aktuell@nadir.org / Redaktion: >nadir-aktuell-red@nadir.org >*** Unsubscribe: majordomo@nadir.org mit unsubscribe nadir-aktuell-abo im >body ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste fuer Medien- und Netzkultur Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost Info: http://www.mikro.org/rohrpost Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de