Marian Bichler on 2 Oct 2001 08:42:47 -0000 |
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Re: [rohrpost] Kriegsgeil |
rohrpost@mikrolisten.de schreibt: >Seid ihr Fernseh-kriegsgeil? Ich schon. Ich will CNN vierundzwanzig >Stunden, ein faschistoides Feuerwerk, keine Toten, kein Leiden, nur >Lügen, ich will das Gefühl von einem großen, mächtigen Imperium, das >auf kleine Rebellen drischt, vom Strafgericht des bösartigen Riesen, >ich will die Allmacht des bösen Demiurgen spüren. (Ja, meine Damen >und Herren, da ist Arno Schmidt drin, und nicht zu knapp. Sollte man >nicht glauben, was?) Mal ehrlich: Seid ihr kriegsgeil? Ich finde es interessant, was Du schreibst. Ich kenne das Gefühl nicht, nein wirklich nicht. Ich mag auch den Berliner Potsdamer Platz mit seiner martialisch anmutenden Kuppel nicht, der mich an Star Wars erinnert. Was Du da benennst, erinnert mich an eine quälende Lektüre von Ernst Jüngers "unter Stahlgewittern" . Ich habe das Buch irgendwann mal angeekelt zugeklappt. Und gleichzeitig ist diese Heroisierung des Schrecklichen nichts weiter als eine Schockreaktion. Deshalb habe ich in meinem "Hey Mr. Taliban Posting" geschrieben, man sollte sich mal genau vorstellen, genau hinfühlen, wie die Wirklichkeit solcher Bilder wäre. Für den ersten Weltkrieg kann man das ja sehr schön nachlesen bei Remarques "Im Westen nichts Neues". Und eigentlich ist das eine ganz alte Diskussion, ich erinnere mich an eine Ausstellung hier in Berlin, in der Statuen von Arno Breker mit Statuen der Käthe Kollwitz konfrontiert wurden. >>Erzählt mir nix, >>Gutmenschen. Euer Verstand ist dagegen, aber geil seid ihr trotzdem. Da Du Provokationen liebst: für diese Bildergeilheit gibt es ein Heilmittel. 1 Monat lang täglich Dachau oder Ausschwitz besuchen, z.B. (wenn man schon selbst nicht in die Elendsgebiete dieser Erde fahren möchte). Die direkte Konfrontation mit der Wirklichkeit ist sehr heilsam. Das weiß ich leider aus bitterer Erfahrung, weil ich bin in Dachau aufgewachsen; und ich war neun Jahre alt, als meine Eltern mich unvorbereitet mitgenommen haben in das KZ. Das damals noch ziemlich im Ursprungszustand war. ... >>Jeder erliegt diesem Scheissdreck, dieser perversen, verdrehten, dreckigen Ästhetik. Es mag vielen so gehen: anstatt sich drüber aufregen, kann man auch an sich arbeiten, um zu begreifen, wo die Faszination herkommt, sie ad acta legen und sich der Wirklichkeit widmen. Gruß Marian ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste fuer Medien- und Netzkultur Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost Info: http://www.mikro.org/rohrpost Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de