criss on Thu, 14 Feb 2002 14:34:03 +0100 (CET)


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Titel:
  BerlinOnline: Von oben und von unten / Jan Hendrik Becker berichtet mit
  einer...

Beschreibung:
  Die Kamera hat das Format einer kleinen Taschenbibel. Das Mikrofon, das
  oben aufgeschraubt ist, wirkt größer als das eigentliche Gerät. Mit so
  einem Kistchen soll man Fernsehen machen können? Jan Hendrik Becker tut
  genau das. Seit gut einem...


Eine Mitteilung von criss (criss@vereinsheim.net) an Sie:
  Von oben und von unten Jan Hendrik Becker berichtet mit einer
  Mini-Digitalkamera für den Musiksender Viva Plus aus Berlin Die Kamera
  hat das Format einer kleinen Taschenbibel. Das Mikrofon, das oben
  aufgeschraubt ist, wirkt größer als das eigentliche Gerät. Mit so einem
  Kistchen soll man Fernsehen machen können? Jan Hendrik Becker tut genau
  das. Seit gut einem Monat berichtet er für den neuen Musiksender Viva
  Plus aus Berlin - allein mit einer winzigen Digital-Videokamera, die in
  seine Jackentasche passt. Er interviewt die Punkband Die Toten Hosen oder
  den englischen Designer Peter Saville, berichtet aus der Redaktion der
  Berliner Stadtzeitung "Tip" oder von dem Medienkunstfestival
  Transmediale, spricht mit Gregor Gysi oder einem obdachlosen
  Straßenzeitungsverkäufer. Andere Sender rücken zu solchen Terminen mit
  einem ganzen Team an. Seinen Zeitplan stellt eine vierköpfige Redaktion
  in Köln zusammen. "Aber oft ruft mich auch einfach ein Freund an, und
  macht mich auf eine interessante Veranstaltung aufmerksam", erzählte der
  25-Jährige. Bis zu drei Termine hakt er so an einem Tag ab. Am Abend
  werden die Videokassetten, die kaum größer als Streichholzschachteln
  sind, mit einer Schnittliste per Overnight-Kurier zu Viva Plus in Köln
  gebracht. Dort sichtet ein Cutter am nächsten Tag die Aufnahmen, und
  schneidet Beiträge zusammen. Die laufen oft noch am selben Nachmittag ab
  16 Uhr zwischen den Popclips. Wenn der Arm erlahmt Die Bilder, die dann
  zwischen den aufgeputzten Musikvideos zu sehen sind, erinnern an
  Heimvideos. Die Kamera wackelt, schlackert und macht 360-Grad-Drehungen.
  Die Perspektiven sind extrem, mal blickt man von oben auf die
  Interviewten herab, mal sieht man aus der Froschperspektive zu ihnen
  hoch. Obwohl die Aufnahmen am Schneidetisch nachbearbeitet werden, sind
  die Farben verwaschen und der Ton ist so schlecht, dass man sich bei
  manchen Interviews Untertitel wünscht. Wenn er ein Interview führt, hält
  Becker die Mini-Kamera mit weit ausgestrecktem Arm hoch, um sich zusammen
  mit seinem Gesprächspartner aufzunehmen. Wenn die kleine Kiste ihn stört
  oder der Arm vom langen Halten lahm wird, stellt er sie einfach aufs
  Fensterbrett und lässt sie dort weiterlaufen. Dann steht sie minutenlang
  still - ein ungewohnter Anblick auf einem Musiksender, in dem es sonst
  vor allem um Tempo und schnelle Schnitte geht. Jan Becker ist der einzige
  Reporter bei Viva Plus, den man sich auch bei einem anderen Sender
  vorstellen kann. Während sich seine Kollegen durch ihre Moderationen
  haspeln oder spontan dummes Zeug reden, berichtet er sachlich, cool und
  kann sogar fließend Englisch; seine Geschichten will er "journalistisch
  erzählen". Wenn man ihn mit Jeans, aus der Hose hängendem Secondhand-hemd
  und Turnschuhen auf der Straße in Mitte sieht, könnte man ihn für einen
  Studenten auf dem Weg zum Seminar halten. Erst wenn er seine Kamera
  hervorholt, wird er zum Reporter, auch wenn viele Interviewpartner das
  Ein-Mann-TV-Team namens "der Jan" zuerst nicht richtig einordnen können.
  "Passt auf, liebe Politiker, wenn da so eine kleine Kamera vor euch
  steht", warnt Becker. "Auch das kann man senden." Dass ihn seine
  Gesprächspartner nicht ernst nehmen, glaubt er nicht: "Respektabel wird
  man dadurch, dass man respektable Fragen stellt, auf die sendefähige
  Antworten kommen." Natürlich spart diese Arbeitsweise Viva Plus eine
  ganze Menge Geld. Nicht nur aus Berlin, sondern auch aus Los Angeles,
  London, Hamburg und Köln berichten Do-it-yourself-Reporter, deren gesamte
  Ausstattung aus einer Digitalkamera besteht. Statt Büros, Sendestudio,
  einen Gerätepark und Standleitungen zu unterhalten, muss Viva Plus bloß
  das Gehalt der Reporter und 2 500 Euro pro Kamera aufbringen. Jan Becker
  operiert aus seiner Privatwohnung statt aus einem Büro; die Termine nimmt
  keine Sekretärin entgegen, sondern er selbst per Handy. Dass seine
  Sendung Low-Budget-Fernsehen sei, hört er jedoch nicht gern. Stattdessen
  betont er lieber die neuen Möglichkeiten, die ihm seine Digitalkamera als
  Journalist bietet: "Die Technik beeinflusst die Geschichten, die ich
  erzähle. Man ist wirklich näher an den Leuten dran. Durch die kleine
  Kamera fühlen sich die Leute viel weniger eingeschüchtert als durch ein
  großes Fernsehteam", sagt er. Bei den Dreharbeiten mit Obdachlosen seien
  zum Beispiel viel direktere Aufnahmen möglich. Auch ein Gespräch mit
  Jasmin Tabatabai sei so wesentlich privater verlaufen als in einem
  Fernsehstudio. Schon bald, glaubt er, werde er seine Beiträge auf seinem
  Laptop schneiden und über Breitband-Internet an den Sender schicken: "Wir
  werden alle noch viel digitaler als wir es jetzt schon sind."
  Witzigerweise gehorchen Beckers Reportagen genau den Regeln, die der
  dänische Regisseur Lars von Trier unter dem Namen "Dogma 95" für seine
  Filme aufgestellt hat: Laut diesem "Keuschheitsgelübde" dürfen Drehorte
  nicht verändert oder ausgeleuchtet werden, das Bild wird mit der
  Handkamera, der Ton live aufgenommen, das Material darf nicht
  nachbearbeitet werden. Die meisten der "Dogma-Filme" sind ebenfalls mit
  Digital-Videokameras gedreht und enthalten mindestens ebenso viele wilde
  Schwenks wie eine von Jans Sendungen. Wie bei den Dogma-Filmen kann sich
  der Neuigkeitswert des Digital-Video-Looks allerdings auch bald
  erschöpfen: schnell hat man sich an das Kamera-Gewackel, die Grimassen
  schneidenden und in die Kamera winkenden Gesprächspartner gewöhnt. Und
  was passiert, wenn er krank wird und für seine tägliche Sendung nicht
  mehr zu Terminen gehen kann? "Das habe ich mir auch schon überlegt", sagt
  Jan Becker und grinst. "Dann filme ich mich einfach, wie ich im Bett
  liege, und lade meine Gesprächspartner zu mir nach Hause ein." Ohne
  Studium // Jan Hendrik Becker, Jahrgang 1976, wuchs in Buxtehude auf, wo
  er in den Independent-Bands The Slame und Jugendstil spielte. Nach dem
  Abitur schrieb er Konzertberichte für die Buxtehuder Lokalzeitung, wurde
  freier Mitarbeiter des NDR, später beim Hauptstadtstudio der ARD. Ein
  Studium oder Volontariat hat er nicht absolviert. Seit dem 7. Januar
  moderiert er auf Viva Plus die Sendung "Berlin", die wochentags um 16 Uhr
  läuft. BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER Gelegentlich filmt sich Reporter
  Becker auch selbst. [Neue Suchanfrage] [Weitere Artikel vom 13.02.2002]
 
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