ezzo on Fri, 26 Jul 2002 15:20:05 +0200 (CEST)


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[rohrpost] morgen auf einem b ö hmischen dorfe


hallo,gabriele!
eingetroffen in slavonice, dem ersten böhmischen weiler nach dem allerletzten dorf von österreich.hab krakau hinter mir gelassen mit leisem weh, station in brno gemacht und dem märchenhaften telc,strebe gemach der heimat zu.
die nacht war kühn. privatquartier bei einer dickleibigen,sanften tschechischen dame. das zimmer recht sauber, aber nicht ruhig. hätte verdacht schöpfen müssen angesichts des geleises vor dem haustor.
unglaublich,welchen krach solch eine tschechische staatsbahn sogar in der dunklen provinz anzurichten vermag. die angelegenheit besteht aus zwei triebwagen,eher rostfarben,so als hätte jemand einen ganzen malkasten an dem zuge ausprobiert. just vor dem hause gibt der herr der lokomotion jählings vollgas und betätigt das horn. dies trägt sich spätabends zweimal zu und sehr frühmorgens auch.
pendler sinds,ausschließlich solche,sagt mir frau hornikova zum frühstück.weil ich selber ein solcher gewesen bin vor etlicher zeit,ertrag ich den krach rückwirkend mit gleichmut.
das frühstück teilt sich in zwei hälften: bei frau hornikova eine tasse nescafe mit warmwasser aus der leitung. das haus enthält viel wassermusik: zieht man die klospülung, hebt das böhmisch-mährische wasser erst dumpf,dann in kreischendem diskant an,den rost in den tschechischen leitungen zu überwinden. läßt man die zugkette los, schnellt hoch droben im spülkasten ein k.u.k.ventil zurück in seinen sitz,das klingt sehr militärisch. unmittelbar darauf erschallt aus dem tschechischen rohrsystem eine blubbernde, langsam ersterbende fanfare. ein erhabenes signal, das mittlerweile verrichtete geschäft zu beenden, andere pensionsgäste warten schon im flur.
des frühstücks zweiter und eher glückhafter teil ereignet sich im zentrum des dorfes. ich wandere durch eine deutlich als tschechisch erkennbare siedlung, komme durch eine allee, die sich durchaus auch in baden bei wien zutragen könnte, passiere das polizeihauptquartier, aus welchem stille und dunkelheit dringen wie aus kafkas schloß, erreiche die kathete des dreieckig angelegten marktplatzes,tauche ein in den langen schatten des herrischen kirchturms mit seiner pechnase,führe im schilde das galeriecafe gegenüber einem laden, in welchem es OBUV KOZENE ZBOZI gibt.
das klingt gefährlich. die spaghetti con chili auf tschechische art sind es wirklich, der segafredo zanetti wirkt original in aufmachung und wirkung auf den kreislauf. solchermaßen mit gott und der tschechischen spielart von welt ausgesöhnt,werfe ich den laptop an,um im meinem virtuellen globalstraßencafewohnzimmerbureau elektrische postsachen auszutauschen mit gott,gabriele,rohrpost und dem rest der welt,sei sie nun tschechisch oder nicht.
mittlerweile ereignet ich reges treiben auf dem dorfe. automobile durchwegs bereits neuzeitlichen zuschnittes rollen vorüber. die reifen erzeugen auf dem groben, aber sehr gepflegten steinpflaster romantisch getönte melodien. wer genau hinhört, wird smetanas moldau darin erahnen, denn alle welt ist musik, wußte schon die slawische seele des johannes kepler,siehe auch: --->HARMONIA MUNDI.
mit dieser urmelodie in herz und seele,wende ich mich der begehung des ortes zu. der stadtplan verheißt gut erhaltene renaissance in hülle und fülle. beides trifft zu. die fassaden sind gut renoviert, etliche werden es gerade. die hinterhöfe zeigen interesante einblicke in die örtliche baugeschichte und das aktuelle soziale lebensgeflecht.
jenseits der stadttore bringt die renaissance aprupt ab und geht über in die baugeschichte der kommunistischen plattenbauten, was dem eher heiteren charme von slavonice eine bitterdüstere note hinzufügt.
als ich die nicht enden wollende wendeltreppe zum turm hochgestiegen und an der brüstung angelangt, seh ich in alle vier tschechisch-österreichischen himmelrichtungen mit großem behagnis,weiß, in welcher richtung trebon,prag und budweis zu finden wären, zahle für die schöne aussicht gerne die dafür erheischten 15kr und steige dorfwärts vom turme hernieder, nach kurzem ausguck durch die pechnase.
wieder in der wirtschaft eingelangt, wird mir zumut nach dem köstlichen tschechischen schwarzbier,welches mit allerfeinstporigem schaum, zehngrädig und von bittersüßem geschmack von der wirtstochter herbeigetragen wird.das bierglas ist ein wahres kunstwerk: unter der devise VELKOPOPOVICKY! zeigt sich ein rot-schwarz-grün gewandetes gehörntes schnabeltier,welches stolz einen riesenkrug KOZEL!zal.1874 serviert. hierorts nehmen sie für diese pracht und herrlichkeit  die summe von 15kr, was mit 0.029 multipliziert ein preiswertes vergnügen in euro und nach mehreren gläsern nicht weite aus-,sondern eher tiefe einblicke in das getriebe der innenwelt erlaubt.
im tiefsten tschechien ist das stille zechertum daher durchaus verbreitet und angesehen. im extremfall nimmt einem erst die allmählich einsetzende sperrstund das bierglas aus der hand.
der gebrauch des öffentlichen fernsprechers offenbart überraschendes: im gegensatz zu den apparaturen in wien und anderswo in der österreichischen EU verstehen sich die tschechischen geräte auch auf e-mail, sms und www.
dieser erfreuliche umstand läßt vergessen, daß im restaurace des kulturhauses die plätze von einer postkommunistischen kellnerin beinah schon/noch quasi mit hammer und sichel zugewiesen werden.
auch die tschechische welt ist halt eine vielfältige mannigfaltigkeit ein anmutiges gemenge aus k.u.k., postkommunistischer nostalgie und tapfer in angriff genommener neuzeit, schließlich lebt man ja (noch) am glacis der EU und will/wird bald ein mitglied derselben sein.
speziell uns biertrinker wirds freun.
mittlerweile ists knapp gegen mittag, liebe gabriele im festspielfestlichen kobersdorf. den rest des tages sollte ich nach etlichen andächtig verkosteten glas vom böhmischen schwarzstoff in einer langen siesta unter obhut von frau hornikova zubringen, bevor die staatsbahn ihr segensreiches wirken aufnimmt.
den rest meiner tage hier bringe ich zu mit ent-schleunigung von leib und seel, wanderzeiten durch die südböhmische teich-und waldlandschaft und dem verzehr dieser unglaublichen böhmischen knödel, die, mit dem messer geteilt, seufzend, dampfend und quellend in zwei hälften zerfallen. solcherart senkt sich an den rand des tellers der saum des paradieses, liebwerte gabriele.
in diesem sinn verbleibe ich mit lieben grüßen
aus dem zentrum von nirgendwo
w*                                                                                                 

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