Krystian Woznicki on Sat, 24 Aug 2002 11:30:38 +0200 (CEST) |
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Weichspüler der Globalisierung Khaoson Road ist überall: Vor dreißig Jahren begann die Lonely Planet-Revolution Von Krystian Woznicki, Frankfurter Rundschau, 24.08.2002 Ein Swimmingpool, gefüllt mit morastigem Wasser. Restaurants mit geschlossenen Türen und zugezogenen Rollläden. Ein niedergebrannter Kiosk und Bauelemente, die einen zum Stillstand gekommenen Konstruktionsprozess erahnen lassen. Recht gut erhaltene Einrichtungen wie eine gigantische Rutsche erinnern an bessere Zeiten: an mit Sonnenanbetern gefüllte Minivans und badebegeisterte Familien, die dieses Luxus-Resort einst bevölkerten. Heute ist "Beach Park" eine Geistersiedlung. Außer den Angehörigen einer Security-Einheit bewegt sich nichts mehr auf dem Gelände. Nach Sonnenuntergang machen sich die Wachmänner auf den Heimweg. Ihre Fahrt dauert nur fünf Minuten, bis zum Nachbarstrand, wo sich längst auch viele Städter niedergelassen haben, um mit Zelten, Holzhütten und Lehmhäuschen ein Paradies für die internationale Gemeinde der "Schnürsenkel-Touristen" zu errichten. Günstige Übernachtungsmöglichkeiten, Reggae-Bars und bunte Hippie-Restaurants haben sich ebenso wie die glühend roten Felsen am weißen Strand als Besuchermagneten erwiesen. Auch am späten Abend ist der Ort noch quicklebendig und damit nicht zuletzt ein Zeichen dafür, dass Individual-Tourismus unaufhaltsam auf dem Vormarsch ist. Ob sich Tony und Maureen Wheeler, die Paten dieser Bewegung, die Wirkung ihres Schaffens vor dreißig Jahren so vorgestellt haben? Kaum anzunehmen. Damals waren sie von einer Australien-Reise zurückgekommen und mussten ihren Freunden erklären, wie sie die Tour de Force entlang unbekannter Asien-Routen fast ohne Geld in der Tasche überstanden haben. Sie antworteten mit dem Buch Across Asia on the Cheap (erschienen 1973). Anschließend zogen sie, im Windschatten der Goa-Euphorie, wieder nach Asien. Resultat des zweijährigen Aufenthalts war der mittlerweile legendäre Reiseführer South East Asia on a Shoe-string, geschrieben in einer chinesischen Kaschemme in Singapur. Geburt einer Kultmarke Zum Motor einer Bewegung avancierten diese Bücher erst, als 1980 das Indien-Handbuch zum Besteller wurde. Lonely Planet, der von den Wheelers gegründete Verlag, in dem alle Bücher nach wie vor erscheinen, entwickelte sich zur Kultmarke und zum Symptom einer Mittelklasse-Revolution. Waren es bis dato Politiker, Seeleute, Kaufleute und Soldaten gewesen, die die Welt über längere Zeiträume bereisten, kam nun ein neuer Typus hinzu: Der Weltenbummler - in Gestalt des Durchschnittsbürgers eines Industriestaates, dessen Vorbilder die Aussteiger-Pioniere der Hippie-Ära waren. Der verhaltene Massenexodus bekam eine Eigendynamik, die es müßig erscheinen lässt, zu fragen, ob Lonely Planet zuerst da war oder die Bewegung, die in den Achtzigern Südostasien verändern sollte. Schließlich verwuchsen die Autoren, das Objekt ihrer Bücher sowie ihre Leser zu einer Einheit; was sich auch zeigt in den von Lesern angeregten Überarbeitungen und Neuauflagen der mittlerweile über 400 Titel. Der Eindruck einer kollektiven Autorenschaft stärkte bereits früh den Community-Gedanken, der Lonely Planet spätestens nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zu einer geheimen Religion der Globalisierung avancieren ließ. Wie groß die Bewegung geworden war, zeigte sich, als The Beach von Alex Garland Ende der Neunziger zum Bestseller wurde und bald darauf mit Leonardo Di Caprio in der Hauptrolle in die Kinos kam. Der Lonely Planet-Revolution wurde in der Hollywood-Produktion nicht nur gehuldigt, mit hinreißenden Bildern von thailändischen Buchten und Stränden, sie wurde auch kritisiert: Einer der Charaktere möchte sich angesichts eines von Rucksack-Touristen überlaufenen Strands einen der Lonely Planet-Autoren vorknöpfen, um ihn mit der Frage zu konfrontieren, warum in Gottes Namen man einen solchen Ort fucking lonely nennen kann. Während die Protagonisten in The Beach die Flucht vor jenen anonymen Massen antreten, die der Erfolg des Filmes noch um ein Vielfaches multiplizieren sollte, prognostizierten Beobachter der Szene ein jähes Ende der Revolution, ohne allerdings das Phänomen in seinen Ausmaßen wirklich erfasst zu haben. Seit geraumer Zeit war nämlich nicht mehr nur Asien Dreh- und Angelpunkt der Lonely Planet-Bewegung. Sie war längst global geworden, zwischen so disparaten Polen wie Ägypten, Madagaskar und Brasilien, wo sie nicht zuletzt daran beteiligt waren, dass der eingangs beschriebene Beach Park derart herunterkam. Backpacker's Ghetto All die unterschiedlichen Namen, die der Bewegung gegeben wurden - darunter "Beach Nation", "Western Circus", "Backpacker's Ghetto" -, zeigen aber auch, dass man den gemeinsamen Nenner dieser globalen Kultur noch nicht erkannt hat. Eigentlich erstaunlich, denn was sich als Leitmotiv schon seit den ersten Lonely Planet-Ausgaben durch die Seiten zieht, kann in seiner identitätsstiftenden Wirkung für die neu erschlossenen Räume kaum unterschätzt werden: Immer wieder ist von einer Straße die Rede, die den Lesern als Orientierungshilfe ans Herz gelegt wird. Ihr lokal geprägter Charakter ist dem globalen Standard angepasst: Touristen-freundliche Hotels, Reiseagenturen, Geldwechselstuben und Entertainment werden in erschwinglicher Preislage angeboten. Da man diesem Straßentypus an unterschiedlichen Orten immer wieder begegnet, stellt sich bald ein déjà vu-Effekt ein. Die Stimmung ist zwar fremd, doch fühlt man sich immer heimisch. Was man nach Khaosan Road, der wohl bekanntesten dieser Straßen, benennen sollte, ist dabei mit den Chinatowns vergleichbar, die seit den sechziger Jahren einen enormen Aufschwung erfahren haben und ebenfalls nie über den Status der Enklave hinausgewachsen sind. So homogen wie die Bevölkerung der Chinatowns sind auch die Khaosan Road-Bewohner in puncto Kultur, auch wenn sie von eben so unterschiedlicher Herkunft sind wie die Kontinente, in denen man Khaosan Roads vorfinden kann. Da sie in ländlichen Regionen urbanes Flair und in den Grossstädten dörfliche Exotik bieten, erweist sich dieses Symbol der Lonely Planet-Offensive als omni-kompatibel: Khaosan Road als räumlicher Weichspüler der Globalisierung ist im Prinzip überall denkbar. In der Tourismusindustrie ist diese Modellstraße jedenfalls nicht mehr wegzudenken. Nachdem islamistische Terroristen 1997 über 50 Urlauber an einem der Mainstream-Reiseorte Ägyptens exekutiert hatten, wurde das Schnürsenkel-Paradies Dahab zum Hauptziel aller in das nordafrikanische Land strömender Touristen. Doch auch ein Land wie Australien weiß aus der Lonely Planet-Bewegung Kapital zu schlagen, ein Gewinn, den man anzulegen versteht: An Universitäten wurden Forschungsstellen eingerichtet und Konferenzen abgehalten, bei denen man das Phänomen streng wissenschaftlich befragte: Wann nahm es seinen Anfang? Wie hat es die Tourismusbranche beeinflusst? Immer wieder werden auch Charakterstudien des neuen Weltenbummler-Typus unternommen, die auf soziologische Modelle zurückgreifen. Kein Wunder, denn Distinktion spielt auch hier eine enorme Rolle. Im Wettbewerb, welchen Teil der Erde man zu welchem Zeitpunkt besucht, zählt man schnell zu den Zuspätgekommenen. Und wer länger als ein Jahr seine Heimat nicht verlässt, wird bei solchen Bestandsaufnahmen von vornherein nicht ernst genommen. Die Reisedauer allerdings ist die Königskategorie der postmodernen Weltenbummler. Es gibt Exemplare, die schon seit den sechziger Jahren in der Khaosan Road leben, erleuchtete Typen mit Tatoos, Zöpfen und langen Bärten. Man trifft auch immer wieder Leute, die ein Haus in der Straße haben und ab und zu heimkehren, nach London, Barcelona oder Zürich, um Geld zu tanken. Auch wer, wie die Wheelers zu Beginn ihrer Laufbahn, für mehr als ein Jahr fortbleibt, nutzt seine Heimat als Tankstelle. Noch treffender ist das Bild der Macjob-Fabrik. Dort arbeitet man im monotonen Akkord, verzichtet auf anspruchsvollen Job und erfüllte Freizeit - nur um den gesamten Verdienst anschließend in eine neue Reise zu investieren. Was Weltenbummler in der vertrauten Ferne erwartet sind Gleichgesinnte, die wohlwollend über den Gastarbeiter-Status in ihren Heimatländern hinwegsehen. Zudem steht ihnen die Tür für eine Karriere im wahren Dschungel offen, als mit der Hippie-Flagge wedelnde kulturell-korrekte Imperialisten. Lonely Planet lehrt sie nicht nur, wie man die andere Kultur respektiert, sondern auch, wie man mit 150 Euro im Monat über die Runden kommt - der Balance-Akt auf einem Schnürsenkel eben. Und es ist dieser ökonomisch geeichte Survival-Spirit, der sich in Zeiten der weltweiten Rezession als nicht zu unterschätzender, klassenübergreifender Kitt erweist. Manager im Trainingslager Bezeichnend ist schließlich, dass mittlerweile auch Ressort- und Pauschal-Touristen und sowie Robinson-Club-Mitglieder dem Lonely Planet-Lifestyle frönen. Am Nachbarstrand der verlassenen Luxus-Siedlung "Beach Park" trifft man heute auch wohlgenährte Ingenieure und Managertypen, die es nicht nötig hätten, unter Sonnenschirmen aus zerzaustem Stroh zu hocken, ihre Caipirinha aus Plastikbechern zu schlürfen und sich mit bekifften Kunsthandwerkern zu unterhalten, von denen sie sich durch ihre bewusst legere Kleidung nicht mehr unterscheiden. Auch sie erleben Khaosan Road als Trainingslager: Wie bekomme ich keine Lebensmittelvergiftung, wie schaffe ich es, nicht beklaut zu werden und keine falsche Rolex angedreht zu bekommen? Langsam lernen sie die überlebensnotwendigen Tricks und Kniffe. Beim ersten Mal kommen sie für eine Woche. Das nächste Mal bleiben sie einen Monat. Immer wieder tauchen sie ein in den Lonely Planet-Kosmos, bis sie irgendwann merken, dass dieser nicht nur eine Option unter vielen, sondern vielleicht die letzte ist. Dieser Anschein von Unausweichlichkeit ist es, der Lonely Planet zu einer der wirklich großen Globalisierungsmythen unserer Zeit macht. http://www.fr-aktuell.de/fr/140/t140002.htm ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/