Tilman Baumgaertel on Thu, 31 Oct 2002 22:20:05 +0100 (CET)


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Re: [rohrpost] Discordia concors: www.jodi.org (Katalogaufsatz)


Hallo!

Wenn ich mich als Mitorganisator dieser Ausstellung und Herausgeber des
Katalogs mal gerade ins Gespraech einmischen darf: erstens würde man die
ganze Sache etwas hoch haengen, wenn man "install.exe" nun zur
paradigmatischen Präsentation von Netzkunst machen würde. Ausstellungen mit
Netzkunst, auch von Einzelkünstlern, hat es auch schon vorher gegeben.
Unser Bemuehen war es, mit Jodi, die wir halt nun mal sehr gut finden, zu
einer Form der Präsentation in einem Kunstraum kommen, die ihrer Arbeit
gerecht wird. Es ist weder die ultimative White-Cube-Veranstaltung und der
Katalog ist auch keine Monografie. Ob die Präsentation gelungen ist,
muessen die Besucher und Kritiker entscheiden, das kann man leider nicht im
Katalog vorschreiben. (Wenn alles klappt, ist nach der Präsentation in
Basel auch in Berlin Ende Januar Gelegenheit, sich die ganze Sache
anzusehen.) Die neue Jodi-Arbeit "Copyright 1984" ist auf jeden Fall mit
dem Gedanken an eine Ausstellung entstanden, und nicht mehr nur für das
Netz bzw. den Desktop. Und auch die Präsentation der übrigen Arbeiten
besteht nicht nur darin, eben ein paar Computer in einem Raum aufzustellen.

Zweitens und grundsätzlicher finde ich es wichtig, auch solche - in einem
konventionellen Kunstkontext relativ schwer ausstellbaren - Netz- und
Computerarbeiten mal so zu zeigen. Die Zahl der Besucher, die eine Galerie
besuchen, mag zwar im Vergleich mit dem potentiellen Publikum im Internet
verschwindend gering sein. Aber es sind andere Leute, und nicht unbedingt
die dümmsten, die sich Arbeiten an so einem Ort ansehen, und sie würden sie
wahrscheinlich im Netz nie anschauen, bzw. gar nicht erst finden. So schön
selbstorganisierte Zusammenhänge und eine eigene Infrastruktur zur
Distribution für Netzprojekte sind (auch Rohrpost gehört ja irgendwie dazu)
- sie schliessen halt auch einen grossen Teil eines potentiellen Publikums
von vorn herein aus. Dass solche Ausstellungen gemacht werden, ist keine
Absage an die Idee des Netzes als öffentlicher Raum und auch keine
Anbiederung an die Kunstszene, sondern trägt nur der Tatsache Rechnung,
dass auch Ausstellungsräume öffentliche Räume sind, die zu bespielen sich
lohnen kann. 

Nebenbei ist es auch eine schöne Gelegenheit, bei der solche Texte wie der
von Florian (und wie die anderen Beiträge im Katalog) entstehen können. So
pflanzen sich Ideen mit anderen Trägermedien fort, und dass trägt zur
Diskursbildung bei. Andernfalls besteht die Gefahr, dass man es sich in der
eigenen Szene gemütlich macht und keine Friktion mit dem Rest der (Kunst-)
Welt stattfindet. Das führt irgendwann zu Selbstzufriedenheit und
Mittelmass, wie man es ja auch in der Mail Art beobachten konnte. Ich
finde, dass sich die Netzszene etwas in den eigenen Zirkeln eingeigelt hat,
und ich glaube, dass die daraus folgenden mangelnde Resonanz aus dem Rest
der Welt auch ein Grund dafür ist, dass im Augenblick kaum noch gute
Arbeiten entstehen und es um viele Leute aus der Netzszene recht ruhig
geworden ist. Das kann man mit einer kleinen Solo-Ausstellung bestimmt
nicht ändern, aber... naja, mal sehen, was noch so passiert.

Gruesse, 
Tilman 

At 18:46 31.10.02 +0100, Cornelia Sollfrank wrote:
> 
>lieber f,
>
>nur kurz ein paar eindruecke und gedanken zu deinem jodi text:
>
>- der text ist !!gewaltig!!
>
>- zurschaustellung politischer korrektheit im kunstbetrieb gleichzusetzen
mit bildopulenz = gemein, funktioniert aber prima. 
>
>- der text schafft es gewiss den anforderungen konventioneller kunstkritik
gerecht zu werden, was er tut ist naemlich eine kunst, die sich entzieht
und nicht greifbar ist zu etwas greifbaren und verstehbaren
zusammenzufassen. er ist trotzdem/deswegen sehr gut, weil jodi es verdient
hat in den kanon aufgenommen zu werden -- was sonst?
>
>- aber jetzt wird es spannend: was bedeutet es, dass es das erste buch
ueber sie gibt, die erste monographie, die erste werkschau im white cube?
wie hat man es geschafft, sie da reinzubringen zwischen zwei buchdeckel und
4 waende?
>
>was bedeutet es fuer sie? sind sie endlich gebaendigt diese
widerspenstigen? was muss jetzt kommen, um sie WIRKLICH zu den wichtigsten
zeitgenoessischen kuenstlern zu machen? oder ist das strukturell unmoeglich?
>
>ist die ganze sache ein kompromiss, um den notwendigkeiten eines
kunstbetriebes etwas entgegenzukommen, oder ist es eine vermittlung, die
jodis grossartige kunst einfach viel mehr menschen zugaenglich und
verstaendlich macht?
>
>best, c.
>
>--
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>www. ||a |||r |||t |||w |||a |||r |||e |||z || .org
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