Florian Cramer on Fri, 6 Dec 2002 13:20:08 +0100 (CET)


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Re: [rohrpost] Lev Manovich, banales beispiel: der zoom im Acrobat Reader


Am Donnerstag, 05. Dezember 2002 um 19:12:53 Uhr (+0100) schrieb Harald
Hillgärtner:
 
> Ist mir schlicht rätselhaft, warum DivX oder mp3 etwas anderes sein soll als 
> Audio-CD und Video-DVD. 

Folgende Unterschiede halte ich für bemerkenswert:


1. Zielplattform

- Audio-CD und Video-DVD sind für "embedded Hardware" bzw.
  Standalone-Consumergeräte konzipiert. Die Unterstützung durch PCs und
  Abspielsoftware kam erst spät.

- mp3 und DiVX sind Softwareformate, die nicht für bestimmte
  Abspielgeräte konzipiert wurden. Die Unterstützung durch
  Consumergeräte kam erst spät und ist z.T. lückenhaft.

2. Standardisierung

- Audio-CD und Video-DVD sind durch Standardisierungs-Gremien und in
  Standardisierungs-Dokumenten ("Red Book" etc.) festgelegte Formate,
  die zwecks Endgeräte-Kompatibilität unveränderbar sind.

- mp3 und DiVX sind nur lose bzw. gar nicht standardisierte Formate, die
  einem ständigen Wandel unterliegen ("mp3 pro" vs. "mp3", DiVX 3.x,
  4.x, XViD, OpenDiVX etc.). Da diese Formate primär von Software- und
  nicht von Hardware-Playern abgespielt werden, spielt
  Rückwärtskompatibilität eine geringere Rolle. Würde es ein neues
  DVD-Video-Format geben (z.B. mit effizienteren MPEG4-Codecs), müßten
  sich Millionen Nutzer neue DVD-Player kaufen; wenn es, wie alle paar
  Monate, ein neues DiVX-Format gibt, müssen sich die Nutzer lediglich
  eine neue Player-Software herunterladen.

3. Speicherung

- Audio-CD und Video-DVD sind an bestimmte Hardware-Träger, sprich
  Speichermedien gebunden. In dem Moment, da man die Daten einer
  Audio-CD z.B. auf eine portable Festplatte überspielt, 
  besitzt man keine Audio-CD mehr.

- Im Gegensatz dazu sind mp3 und DiVX nicht an bestimmte
  Speicherhardware gebunden, sonden können arbiträr auf CD-ROMs,
  Festplatten, Disketten, Flash-Speichern, Web- und FTP-Servern,
  Filesharing-Netzwerken etc. abgelegt werden.

4. Übertragung

- Ein anderer Punkt ist die Entkoppelung nicht nur von Codierungs- und
  Speichertechnologie, sondern auch der Übertragungstechnologie in
  Software-Medien. Während z.B. digitales Radio und digitales Fernsehen
  fest mit genormten Übertragungstechnologien verkoppelt sind, können mp3
  und DiVX über beliebige digitale Kanäle übertragen werden (sämtliche
  Dienste des Internet, HAM-Radio, direkte Modemverbindungen, LANs
  etc.). 

Da mit dem Internet und TCP/IP ein generischer Kanal und mit dem PC ein
generisches Codierungs-, Dekodierungs- und Speichergerät existiert,
können "Medientechnologien" mit geringem Aufwand rein als algorithmische
Software konzipiert werden und damit auch rigoroseren Update-Zyklen
unterworfen werden.

Gerade Audio-CD und DVD sind gute Beispiele dafür, daß als
Software-/Hardware-Einheit konzipierte "Medientechnologie" auf
Jahrzehnte hin stabile Fakten schafft, die ihre Urheber später nicht
selten bereuen. Hätte es die Audio-CD nie gegeben, sondern nur ein
marktbeherrschendes digitales Audio-Dateiformat für Software-Player, so
hätte die Musikindustrie schon längst ein Update vollzogen, das rigorose
"Kopierschutz"- bzw.  "DRM"-Technologie implementiert. Dasselbe gilt für
die Video-DVD.

-F

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