Henning Ziegler on Wed, 22 Jan 2003 20:15:03 +0100 (CET)


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Re: [rohrpost] Vorsicht: ART+COM sucht ab sofort eine/n Praktikant/in im Bereich Mediengestaltung


Liebe Mina,

dazu aus der FR:
Copyright © Frankfurter Rundschau 2003
Dokument erstellt am 08.01.2003 um 17:20:00 Uhr
Erscheinungsdatum 09.01.2003
http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=78267

Im Land der unbezahlten Tätigkeiten

Der deutsche Kulturbetrieb ruht auf den Schultern von Praktikanten - stresserprobt und humorvoll geht es in die Ausbeutung

Von Astrid Herbold


Konrad, 29, und Katrin, 26, arbeiten bei einem großen deutschen Literaturfestival. Seit sechs Monaten telefonieren die beiden täglich bis zu zehn Stunden mit Schriftstellern und Übersetzern, verwalten Adressdateien und Kartenkontingente, tippen Texte für den Katalog ab und holen Fotorechte ein. Für ihre Bemühungen im Dienste des guten, weil künstlerischen Zweckes bekommen Konrad und Katrin keine müde Mark. Sie beklagen sich nicht, im Gegenteil. Die beiden Studenten sind stolz und glücklich, dass sie bei einem so renommierten Arbeitgeber hospitieren dürfen. "Hier darf man als Praktikantin viel machen", lobt Katrin. "Und eine Menge Verantwortung übernehmen", ergänzt Konrad.

Praktikanten zu beschäftigen ist chic und macht Spaß: die Berlinale, die lit.cologne und die Popkomm haben welche, und an Stadttheatern, in Verlagsetagen und Festivalbüros kommt schon lange auf jede bezahlte mindestens eine unbezahlte helfende Hand. Die Beschäftigungsform Praktikum - ursprünglich konzipiert, um die theoretische Ausbildung der Universitäten durch in der Praxis erworbene Fähigkeiten zu ergänzen und den Studierenden eine genauere berufliche Orientierung zu ermöglichen - ist in Deutschland zur Quelle billiger Arbeitskräfte verkommen: Der Praktikant als Zivi des Kulturbetriebs. "Eine Stelle haben wir zwar nicht, aber machen Sie doch ein Praktikum bei uns", das ist der freundlich-harmlose Satz, mit dem eine ganze Generation systematisch am Eintritt ins Erwerbsleben gehindert wird.

Das Praktikum ist ein Geschäft mit der Hoffnung: Trotz niederschmetternder Prognosen spekulieren viele Geisteswissenschaftler darauf, bei einem ihrer zahlreichen Arbeitgeber doch einen klitzekleinen Posten ergattern zu können. Volker, 27, ist ein solcher Optimist. Gerade hat er sein Germanistikstudium mit Auszeichnung abgeschlossen, parallel dazu sechs Semester lang als studentische Hilfskraft gejobbt. Volker kann redigieren, lektorieren, korrigieren, ist hoch motiviert, teamfähig, gut organisiert. Seine Berufserfahrung und seine zahlreichen Zusatzqualifikationen nützen ihm bei der Stellensuche wenig. Zwei Verlagspraktika und eines bei einem Literaturhaus hat er mittlerweile ergattert, immerhin. Er verrichtet die gleiche Arbeit wie die Angestellten und wird nach jeweils vier Monaten vom nächsten Universitätsabsolventen abgelöst. Bezahlung: keine. Aussichten auf eine Festanstellung: bislang nicht.

Der deutsche Kulturbetrieb hat sich schon lange damit angefreundet, die jüngsten seiner Arbeitnehmer schamlos auszunutzen. Jetzt, in Zeiten größerer finanzieller Engpässe, hat sich die Funktion der Praktikanten allerdings grundlegend verändert: Mittlerweile ersetzen sie die, von denen sie lernen sollten. Warum weiterhin eine Assistentin, einen Sekretär, eine Büroleiterin bezahlen, wenn sich die Stelle auch mit hochqualifizierten Jahrespraktikanten überbrücken lässt? Vor allem in der Hauptstadt, wo auf wenige Stellenausschreibungen viele arbeitslose Jungakademiker kommen, gilt als dumm, wer noch Mitarbeiter für Tätigkeiten bezahlt, die andere gerne umsonst machen.

"Student/in im Hauptstudium mit umfassenden PC-Kenntnissen und der Bereitschaft zur Wochenendarbeit" sucht ein Theater in der Praktikumsbörse des Berliner Stadtmagazins zitty. Geld: "Leider keins". Eine große Literaturagentur braucht dringend jemanden für die "Korrespondenz mit den Autoren". Im Job inbegriffen: "Sekretariatstätigkeiten"; Dauer: "Acht Monate". Ein Kindermuseum will seine Pressestelle neu besetzen: "Vorkenntnisse im Bereich PR" sind erwünscht, der Bewerber möge zudem "stresserprobt" und "humorvoll" sein. Außerdem massenhaft gesucht: Unentgeltlich arbeitende Event-, Projekt-, Kultur-Manager, gerne älter als 26, mit abgeschlossenem Studium, hinreichender Berufserfahrung und zeitlich flexibel bitteschön.

Dass ausgerechnet die Oberhäupter renommierter Kulturinstitutionen hinter verschlossenen Türen unverschämtestes Lohndumping betreiben, ist ein gerne verschwiegenes Kavaliersdelikt. Rechtfertigungen für diese systematische Ausbeutung der schwächsten Mitglieder des Teams hat man in den traditionellen Trutzburgen linker Ideale dutzendfach parat: Es sei eben kein Geld da; man arbeite ja selbst für einen Hungerlohn und halte den ganzen Laden sowieso nur mit Ach und Krach über Wasser. Und schließlich könne auch in künstlerischen Kreisen nur bestehen, wer rentabel wirtschaftet - sprich: sein Geld ins Programm, aber nicht ins Personal investiert.

Was für einen derart geführten Betrieb wie eine stete personelle Verjüngungskur wirkt, ist aus der Sicht des einzelnen Praktikanten fatal: Durch seine zunehmende Berufserfahrung und seine langsam steigenden Ansprüche an eine angemessene Entlohnung disqualifiziert er sich selbst. Ob ihn nun der persönliche Ehrgeiz oder die nackte Not aufmüpfig werden lässt, eine bezahlte Stelle kann er sich in den seltensten Fällen ertrotzen. Meist wird er vorher durch den nächsten Praktikanten ersetzt.

So subventionieren Tausende von "stresserprobten" und "humorvollen" Studierten und Studierenden durch ihre unentgeltliche Mitarbeit weiter die deutsche Kulturlandschaft. Konrad z. B. finanziert das Vergnügen, bei einem Literaturfestival ein halbes Jahr lang "reinschnuppern" zu dürfen, mit Schichtdiensten bei einer Softwarefirma. Katrin arbeitet wöchentlich 20 Stunden in einem Call Center - meistens nachts und am Wochenende, damit die Arbeitszeiten nicht mit denen des Praktikums kollidieren. Volker hat seine Eltern überzeugt, noch ein paar Semester länger für seinen Unterhalt aufzukommen.

Was die Kulturschaffenden vor lauter Begeisterung über die neuentdeckten personellen Ressourcen zu vergessen scheinen: Kunst wird nicht besser, nur weil sie billiger wird. Schnell gehen in Institutionen mit großer interner Fluktuation Wissen und Erfahrung verloren. Die Organisation wird dilettantischer, das ganze Unternehmen krisenanfälliger. Stützende Strukturen brechen weg oder können gar nicht erst aufgebaut werden. Zuletzt bleibt auch noch der talentierte Nachwuchs aus: Ein Großteil der unfreiwilligen "Volonteers" wendet sich nach durchschnittlich drei bis vier Praktika enttäuscht von der Kultur ab und anderen Wirtschaftszweigen zu. Wer die Kürzungen von staatlichen Zuwendungen trotzdem mit Personalabbau und Praktikantenzuwachs beantwortet, sägt an dem dünnen Ast, auf dem er selbst noch sitzt.

Beste Grüße

Henning

-- 

Henning Ziegler, Berlin
http://www.henningziegler.de


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MH> ART+COM sucht ab sofort eine/n Praktikant/in im Bereich Mediengestaltung.

MH> Dauer: 3-6 Monate
MH> Bezahlung: nach Vereinbarung

MH> Aufgaben umfassen:
MH> - Mitkonzeption und Gestaltung von interaktiven Anwendungen und Exponaten
MH> - Erstellung von Praesentationsunterlagen für Print und Screen
MH> - Mitarbeit an laufenden Projekten

MH> Vorraussetzungen:
MH> - Grundstudium im Bereich Mediengestaltung/Interaktionsdesign
MH> - Software Kenntnisse sollten mitgebracht werden, sicheres Umgehen 
MH> mit mind. 2 der folgenden Programmen waere gut:
MH> Photoshop
MH> Freehand oder Illustrator
MH> Quarkxpress
MH> Director
MH> Flash
MH> Cinema4D

MH> Bewerbungen bitte mit Arbeitsproben oder Online Portfolio an: 

MH> ART+COM Medientechnologie und Gestaltung AG
MH> Evelin Buelow
MH> Kleiststr. 23-26
MH> D-10787 Berlin, Germany

MH> mailto:evelin.buelow@artcom.de
MH> http://www.artcom.de

MH> fon: ..49.30.21001-410
MH> fax: ..49.30.21001-555

MH> --
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MH> Mina Hagedorn
MH> Gestalterin
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