Felix Langhammer on Fri, 7 Mar 2003 19:02:26 +0100 (CET)


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Re: [rohrpost] Boykott amerikanischer Waren


Jan Ulrich Hasecke schrieb:

> Ich weiß jedoch nicht, wie uns eine Diskussion über den
> Antiamerikanismus weiterbringen soll.

Das bringt einen insofern weiter, als dass man immer ein gewisses Maß an
Selbstreflexion und Selbstkritik haben sollte, und immer überprüfen
sollte, ob das, was gerade passiert, wirklich das ist was man will, oder
ob man sich da nicht Geister ruft, die man nicht mehr los wird.

> Beim Kosovo-Krieg und dem Krieg in Afghanistan war dies nicht oder
> nicht in dem Maße so. Da haben die USA gemeinsam mit ihren Verbündeten
> gehandelt oder ihr Führungsanspruch war weniger stark spürbar.

Ja nun, beim Kosovo-Krieg war es v.a. so, dass es eine historische Zäsur
gab: Deutschland hat den ersten Angriffkrieg seit 1945 geführt. Eine
stolze Leistung für eine Regierung, die als rot-grüne angetreten ist mit
dem Versprechen, den konservativen Muff von 16 Jahren Kohl vertreiben zu
wollen. Für diese Leistung hat sie nicht mal ein Jahr gebraucht. Und ich
erinnere mich zumindest noch gut an die Szenen, als Fischer im Bundestag
vom "serbischen Faschismus" und von "Konzentrationslagern im Kosovo"
sprache und Scharping mit Tränen in den Augen mit verwackelten Bildern
und einem angeblichen Plan der ethnischen Säuberungen gewedelt hat, der
sich als komplette Lüge rausstellte. Da konnte auch der unkritischste
Mensch leicht feststellen, wie umfassend und tiefgreifen
Medienmanipulation so funktioniert. Wo waren da die Friedensbewegten
Massen? Der Afghanistan-Krieg war nur noch ein winzig kleiner Schritt.
Die Bundesregierung will halt jetzt immer mitspielen, wenn Krieg gemacht
wird. Im Irak will sie nur deswegen nicht mitspielen, weil sie andere
Vorstellungen von der Aufteilung der Welt hat, als die USA. Die sind
allerdings nicht besser, sie sind nur in Konkurrenz. Insofern finde ich
es halt etwas peinlich, jetzt gemeindsam mit der Bundesregierung in den
Chor gegendie bösen USA einzustimmen. Die Bundesregierung ist keine
Friedensregierung. Sie ist ebensowenig eine Regierung für Menschlichkeit
und Gerechtigkeit.
Übrigens sind Proteste gegen die Politik der USA keinesfalls per se
Anti-Amerikanistisch. Anti-Amerikanismus ist Ressentiment, nicht Kritik.
Ich bitte das zu unterscheiden. Gerade jetzt, wo wieder eine Diskussion
läuft, um die deutsche Geschichte umzuschreiben (Die "Brand"-Diskussion
um Dresden nämlich) hat es einen wirklich mehr als fahlen Beigeschmack,
Anti-Amerikanismus als legitimen Protest misszuverstehen.

> Wenn wir auf internationale Verträge und mehr noch auf die
> Globalisierung im positiven Sinne setzen, dann ist ein Protest gegen
> den Sonderweg einer Nation immer anti. Und die Größe der Demonstration
> steht in direktem Verhältnis zur Macht desjenigen gegen den
> protestiert wird.

Tja, dann darf sich der Protest aber doch nicht auf die USA beschränken.
Was ist mit den anderen Wirtschaftsmächten? Sind die imperialitischen
Ambitionen der EU legitimer? Oder Russlands? So ein Protest ist nicht
glaubwürdig.

> Hinzu kommt, dass es sich bei den USA immer um ein Vorbild gehandelt
> hat, dem nachzueifern positiv besetzt war. Dass in einem Moment, in
> dem die mächtigste Nation der Welt sich von einem demokratischen und
> freiheitlichen Vorbild in eine imperialistisch agierende Gefahr für
> den Weltfrieden wandelt, so viele Menschen auf die Straße gehen,
> dürfte doch wohl kaum überraschen.

Die USA agieren nicht erst jetzt imperialitisch, und wann sowas eine
Gefahr ist, ist Definitionssache. Krieg ist immer eine Gefahr, da sind
andere keine Ausnahme.
Die USA waren übrigens tatsächlich in der BRD immer ein poitisches
Vorbild gewesen, denn ohne die USA gäbe es die BRD nicht. Nachdem die
USA und die Alliierten mit Gewalt die Nazis zum Teufel gejagt haben,
haben sie nach 1945 in der BRD die Demokratie installiert und die
Westanbindung des ehemaligen Nazideutschland ermöglicht. Das zumindest
sollte man ihnen nun wirklich nicht ankreiden.

> Noch weniger dürfte überraschen, dass man sich dabei in der
> Gesellschaft von Leuten wiederfindet, in die zu geraten man sich
> bisher hütete.

Ja genau. Nochmal Retro: Es gab Zeiten, in denen galten Mahler,
Mechtersheimer und Co als Linke. Es fiel erst recht spät auf, dass sie
keine sind. Sie sind jetzt genau da, wo sie hingehören, und da sollen
sie auch bleiben.
Am 15.2. sind übrigens tatsächlich Neonazis mitmarschiert, mit Transpis
und Deutschland-Fahnen und allem drum und dran. Gestört hat's kaum
jemanden. Auch das Jamal Karsli zum Trägerkreis gehörte, kratzte kaum
jemanden. Klar, Bündnisse sind keine Liebesgemeinschaften sondern
Minimalkonsens-Treffen auf einen Zweck ausgerichtet, man macht bei
Bündnissen immer Abstriche und geht mit Leuten, mit denen man nciht
unbedingt viel gemein hat. Man muss halt nur kucken, wo die
Schmerzgrenze ist.

> Ciao!
> juh

 
Viele Grüsse,

Felix
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