Hedwig Wagner on Wed, 29 Oct 2003 11:46:11 +0100 (CET) |
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[rohrpost] CFP - Archiv fürMediengeschichte: 1950 |
Call for Papers – Archiv für Mediengeschichte 1950 Das Archiv für Mediengeschichte wird in seiner nächsten Ausgabe den tiefen mediengeschichtlichen Bruch der Zeit um 1950 zum Thema machen. Hier hört das 20. Jahrhundert auf, eine Fortsetzung des 19. Jahrhunderts mit anderen Mitteln zu sein und kommt für kurze Zeit, für eine Übergangsperiode nämlich, zu sich selbst; hier berühren einander das "analoge" und das "digitale" Zeitalter, die Ära der Repräsentation und diejenige der Simulation. Die Dekade der Jahrhundertmitte erschließt sich also durch seine Begrenzungen einmal durch das 19. Jahrhundert, das den Film hervorbrachte, der bis ‚1950’ Leitmedium blieb, zum anderen durch das 21. Jahrhundert, dessen Leitmedium, der Computer, um 1950 in entscheidender Weise entwickelt wird. Die 50er Jahre selbst sind von der massenhaften Verbreitung des Fernsehens, das über einige Jahrzehnte Leit- und Übergangsmedium blieb, bestimmt. Um den Kehrpunkt 1950 herum vollzieht sich damit eine gründliche Umstrukturierung des gesellschaftlichen Sinnhaushalts, deren Vollzug weite Strecken der zweiten Jahrhunderthälfte bis in die Gegenwart hinein prägt und die in vielerlei medienkulturellen Phänomenen und Problemen der Jahre um 1950 wirkt. Das gilt nicht zuletzt speziell für die Geschichte Deutschlands. In den fünfziger Jahren wurden die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik gegründet und aufgebaut. In beiden Fällen ging dies mit ostentativen Abkehrungen vom Historischen einher, mit Geschichtsverdrängung, Geschichtvergessenheit und –umdeutung. Eine Archäologie dieser Vorgänge, ihrer vielfältigen Dimensionen und Folgen, die selbstverständlich auch eine Archäologie der Gegenwart bedeutet, steht besonders hinsichtlich der Medien und ihrer Funktion noch aus. Eine scheinbar widersprüchliche Thematisierung der 50er Jahre ergibt sich dabei aus der Gleichzeitigkeit der synchronen und diachronen Betrachtung. Das Selbstbild, das der Diskurs der 50er Jahre entwarf, war bestimmt von Neugründung, Aufbruch, von der Idee des Neuen, der Modernisierung: Bewegung, Dynamik und Diskontinuität waren die vorherrschenden Schlagworte. Der im Nachhinein geführte Diskurs über die 50er Jahre dagegen war lange geprägt von der Rede über die ‚bleierne Zeit’, der Erstarrung in Konservativismen, der Restauration. Die thematische Fokussierung des ‚1950’- Bandes des Archivs für Mediengeschichte sucht Medienneuerscheinungen oder Einzelphänomenen nachzugehen, die insofern als medial beschrieben werden können, als sie Identitätsstifter sind, als Regulierungstechniken in Erscheinung treten oder als Sinnkonstitutionen aufgefasst werden. In den Blick geraten können dabei Medien im Sinne des technischen Geräts, des wirksamen Dispositivs als Speicher- oder Verbreitungsmedium oder schließlich der symbolischen Form des Kommunikationsmediums. Drei zentrale Komplexe stellen sich dabei der spezifisch mediengeschichtlichen Aufschlüsselung dar: Das Problem des Scheins: In Ästhetik, Bildender Kunst und Design bilden die 50er Jahre ein Jahrzehnt, das vom Schein beherrscht wird. Die sog. „Abstrakte Kunst“ setzt sich geschmacksbildend in den Eliten durch; ihre Muster und Lineaturen erreichen aber auch den aufgeschlossenen Alltagshaushalt. In Ästhetik und Design kommen, unter anderem bedingt durch neue Materialien (Nylon und Neon), neuartige Oberflächengestaltungen auf. Visuelle Muster, glänzende Strukturen und das Heraustreten der Textur lässt eine Zeit der Herrschaft visueller Oberflächen anbrechen. Damit geht eine Ökonomisierung einher: Warenwerbung und Konsumwerte drängen in den Vordergrund der Alltagskultur. Gleichsam am anderen Ende der Skala beginnt zugleich Jean-Paul Sartre ‚Das Sein und das Nichts’ mit einem Räsonnement über Schein und Oberfläche. Durch Schein und Oberfläche wird die Bestimmung von Sein, Substanz und Tiefe neu gedacht; und nicht nur ästhetisch transformiert sich in den 50er Jahren die Tiefenstruktur zur Oberflächenstrukturierung. Die Problematik des Scheins produziert damit auch eine Neudifferenzierung der Außen- und der Innenwelt, die weitgehend mediengeneriert, zumindest jedoch mediengestützt ist. Regelung und Steuerung: Regelung und Steuerung, Regelkreisläufe, Rückkopplung und Verschaltung sind zentrale Begriffe der Medientheorien der 50er Jahre. Der Gedanke der Steuerung wird allfällig; Steuerungstechniken und Programmierungen bestimmen nicht nur die Kybernetik. Verhaltenssteuerung, Organisation und die Rede vom programmierten Menschen begleiten die gesellschaftliche Dynamik, setzen der Umwälzung eine Vorhersagbarkeit an die Seite. Dabei ist zunächst einmal an die ordnungspolitische Dimension der Neuinstitutionalisierung gedacht. Der moderne Staat wird in den 5oer Jahren als zentrales Regulierungs- und Ordnungskonstrukt ins Visier genommen. Das schließt die Regelung von Güterströmen, die planwirtschaftlich infrastrukturelle Versorgung mit Waren auf der einen Blockseite, das Aufkommen des Konsums und einer Neuregulierung der Warenwelt auf der anderen Seite mit ein. In der Folge muß aber auch nach der Idee und Realisierung des staatsunabhängigen, öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens und nach der ökonomischen Logik bei der Herstellung des Massenmenschen und der Massenkommunikationsmedien der Nachkriegszeit gefragt werden. Mit der Kybernetik rückt zudem die Technik als neuer Referenzpunkt des Menschlichen ein, erschüttert das „Bewusstsein der Maschinen“ (Gotthart Günther) dasjenige der Menschen. Dies ließ zugleich eine Mythologisierung und Fiktionalisierung der Künstlichen Intelligenz, der Schaltung und Kopplung entstehen, die unzählige Science-Fiction – Phantasien speiste. Bruch und Kontinuität: Die ‚Bleierne Restauration’ und die wachsende Akzeptanz der kulturellen Moderne artikulieren eine tiefe Verunsicherung im Umgang mit der Vergangenheit. Dabei sind Enthusiasmus des Aufbaus und eher konsumistische ‚Neophilie’ des Wirtschaftswunders, die Idee des Neuen, die gesellschaftliche Modernisierung und das Aufkommen der Jugendkultur und der Frauenöffentlichkeit ebenso tragende Momente dieses Jahrzehnts wie der Konservativismus nicht nur der Adenauer-Ära. Nicht nur neue Materialien, auch die Materialität selbst tritt hervor als das Neue gegenüber dem Alten unserer Kultur- und Ideengeschichte. Es ist nicht zuletzt das sich ausbreitende Fernsehen, das mit der Spaltung von Ereignis und Repräsentation ein neues Zeitverhältnis in die neue Zeit bringt. Mit der Alternative, entweder das Gestrige oder aber das Morgige abstreifen zu müssen, greift auch die Figur der Negativität neu Platz im Denken. Mit dem Kalten Krieg und der Bombe kommt die Idee der vollständigen Vernichtung. Die Drohung des Alles oder Nichts lässt auch an das Ende, läßt das Nichts denken. Atomare Abschreckungspolitik und TV-Massenkonsum bilden schließlich einen Nexus, jene „Verbiederung“ (Günter Anders), die als Gegenbegriff zur Entfremdung, Demokratie, Warencharakter und Wissenschaft gleichermaßen erfaßt und die Welt wie Fernsehen als Phantom bestimmt, charakterisiert durch Unilateralität und Distanz. Beiträge zum Thema sind höchst willkommen. Die Herausgeber und die Redaktion bitten deshalb zunächst um Textvorschläge, die mit einem Kurztext (1.000 Zeichen) bis zum 01.12.2003 an das Archiv für Mediengeschichte – Redaktion- Hedwig Wagner, Fakultät Medien, Bauhaus-Universität Weimar, hedwig.wagner@medien.uni-weimar.de, erbeten werden. Die Ausarbeitung sollte dann im Umfang von 20.000 – 30.000 Zeichen bis Mitte März vorgelegt werden können. Hedwig Wagner Bezug und Information der Bände Medien der Antike, Licht und Leitung, Mediale Historiographien : Universitätsverlag Weimar Das Archiv für Mediengeschichte ist eine jährlich erscheinende Fachzeitschrift, die als Einzelexemplar oder im Abonnement wahlweise bei unserem Verlag unter der Faxnummer 49.(0)3643.581156 (Frau Fein), bzw. per email über marita.fein@uv.uni-weimar.de, über das Netz oder über den Buchhandel (hier leider nur als Einzelexemplar) bestellt werden kann. www.uni-weimar.de/medien/philosophie/publikationen/afmg.htm -- Hedwig Wagner Archiv für Mediengeschichte Bauhaus-Universität Weimar Bauhaus-Str. 11 99423 Weimar Tel.: 03643/583861 eMail: hedwig.wagner@medien.uni-weimar.de ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/