Thomas Mank on 16 Sep 2001 13:47:46 -0000


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[rohrpost] FW: [attac-d] Amerikas Selbstbetrug (aus der FAZ!!!)



Liebe Grüsse,

Thomas Mank

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Thomas Mank
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Michel Foucault
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------ Weitergeleitete Nachricht
> Von: "Immoseek" <immoseek@gmx.net>
> Antworten an: "Immoseek" <immoseek@gmx.net>
> Datum: Sun, 16 Sep 2001 13:03:10 +0200
> An: <attac-d@attac-netzwerk.de>
> Betreff: [attac-d] Amerikas Selbstbetrug (aus der FAZ!!!)
> 
> Eine Nachricht der Mailingliste des ATTAC-Netzwerks
> zur demokratischen Kontrolle der Finanzmaerkte
> --
> 
> "Unsere Stärke wird uns nicht helfen" - Susan Sontag über Amerikas
> Selbstbetrug
> 
> Amerika unter Schock: Die falsche Einstimmigkeit der Kommentare / Von Susan
> Sontag
> 
> 
> Als entsetzter und trauriger Amerikanerin und New Yorkerin scheint es mir,
> als sei Amerika niemals weiter von der Wirklichkeit entfernt gewesen als am
> letzten Dienstag, dem Tag, an dem ein Übermaß an Wirklichkeit auf uns
> einstürzte. Das Mißverhältnis zwischen den Ereignissen und der Art und
> Weise, wie sie aufgenommen und verarbeitet wurden, auf der einen Seite und
> dem selbstgerechten Blödsinn und den dreisten Täuschungen praktisch aller
> Politiker (mit Ausnahme von Bürgermeister Giuliani) und Fernsehkommentatoren
> (ausgenommen Peter Jennings) auf der anderen Seite, ist alarmierend und
> deprimierend. Die Stimmen, die zuständig sind, wenn es gilt, ein solches
> Ereignis zu kommentieren, schienen sich zu einer Kampagne verschworen zu
> haben. Ihr Ziel: die Öffentlichkeit noch mehr zu verdummen.
> 
> Wo ist das Eingeständnis, daß es sich nicht um einen "feigen" Angriff auf
> die "Zivilisation", die "Freiheit", die "Menschlichkeit" oder die "freie
> Welt" gehandelt hat, sondern um einen Angriff auf die Vereinigten Staaten,
> die einzige selbsternannte Supermacht der Welt; um einen Angriff, der als
> Konsequenz der Politik, Interessen und Handlungen der Vereinigten Staaten
> unternommen wurde? Wie vielen Amerikanern ist bewußt, daß die Amerikaner
> immer noch Bomben auf den Irak werfen? Und wenn man das Wort "feige" in den
> Mund nimmt, dann sollte es besser auf jene angewandt werden, die
> Vergeltungsschläge aus dem Himmel ausführen, und nicht auf jene, die bereit
> sind, selbst zu sterben, um andere zu töten. Wenn wir von Mut sprechen, der
> einzigen moralisch neutralen Tugend, dann kann man den Attentätern - was
> immer sonst auch über sie zu sagen wäre - eines nicht vorwerfen: daß sie
> Feiglinge seien.
> 
> Unsere politische Führung redet uns entschlossen ein, alles sei in Ordnung.
> Amerika fürchtet sich nicht. Unser Geist ist ungebrochen. "Sie" werden
> aufgespürt und bestraft werden (wer immer "sie" sind). Wir haben einen
> Präsidenten, der uns wie ein Roboter immer wieder versichert, daß Amerika
> nach wie vor aufrecht steht. Von vielen Personen des öffentlichen Lebens,
> die die Außenpolitik der Regierung Bush noch vor kurzem heftig kritisiert
> haben, ist jetzt nur noch eines zu hören: daß sie, gemeinsam mit dem
> gesamten amerikanischen Volk, vereint und furchtlos hinter dem Präsidenten
> stehen. Die Kommentatoren berichten, daß man sich in psychologischen Zentren
> um die Trauernden kümmert. Natürlich werden uns keine gräßlichen Bilder
> davon gezeigt, was den Menschen zugestoßen ist, die im World Trade Center
> gearbeitet haben. Solche Bilder könnten uns ja entmutigen. Erst zwei Tage
> später, am Donnerstag (auch hier bildete Bürgermeister Guiliani wieder eine
> Ausnahme), wurden erste öffentliche Schätzungen über die Zahl der Opfer
> gewagt.
> 
> Es ist uns gesagt worden, daß alles in Ordnung ist oder zumindest wieder in
> Ordnung kommen wird, obwohl der Dienstag als Tag der Niedertracht in die
> Geschichte eingehen wird und Amerika sich nun im Krieg befindet. Nichts ist
> in Ordnung. Und nichts hat dieses Ereignis mit Pearl Harbor gemein. Es wird
> sehr gründlich nachgedacht werden müssen - und vielleicht hat man ja damit
> in Washington und anderswo schon begonnen - über das kolossale Versagen der
> amerikanischen Geheimdienste, die Zukunft der amerikanischen Politik
> besonders im Nahen Osten und über vernünftige militärische
> Verteidigungsprogramme für dieses Land. Es ist aber klar zu erkennen, daß
> unsere Führer - jene, die im Amt sind; jene, die ein Amt begehren; jene, die
> einmal im Amt waren - sich mit der willfährigen Unterstützung der Medien
> dazu entschlossen haben, der Öffentlichkeit nicht zuviel Wirklichkeit
> zuzumuten. Früher haben wir die einstimmig beklatschten und selbstgerechten
> Platitüden sowjetischer Parteitage verachtet. Die Einstimmigkeit der
> frömmlerischen, realitätsverzerrenden Rhetorik fast aller Politiker und
> Kommentatoren in den Medien in diesen letzten Tagen ist einer Demokratie
> unwürdig.
> 
> Unsere politischen Häupter haben uns auch wissen lassen, daß sie ihre
> Aufgabe als Auftrag zur Manipulation begreifen: Vertrauensbildung und
> Management von Trauer und Leid. Politik, die Politik einer Demokratie - die
> Uneinigkeit und Widerspruch zur Folge hat und Offenheit fördert, ist durch
> Psychotherapie abgelöst worden. Laßt uns gemeinsam trauern. Aber laßt nicht
> zu, daß wir uns gemeinsam der Dummheit ergeben. Ein Körnchen historischen
> Bewußtseins könnte uns dabei helfen, das Geschehene und das Kommende zu
> verstehen. "Unser Land ist stark", wird uns wieder und wieder gesagt. Ich
> finde dies nicht unbedingt tröstlich. Wer könnte bezweifeln, daß Amerika
> stark ist? Aber Stärke ist nicht alles, was Amerika jetzt zeigen muß.
> 
> Aus dem Amerikanischen von Julika Griem.
> 
> Die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag, Jahrgang 1933, wurde durch
> ihre Essaysammlung "Against Interpretation" (1966) bekannt. Im letzten Jahr
> erschien ihr Roman "In America". Sie gehört derzeit zu den Gästen der
> American Academy in Berlin, wo sie sich am 11. September aufhielt. Während
> sie auf die Möglichkeit, nach New York zurückzureisen, wartet, hat sie ihre
> Eindrücke zusammengefaßt.
> 
> Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.09.2001, Nr. 215 / Seite 45
> 
> 
> --
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