Gerrit Gohlke on Sat, 13 Apr 2002 13:14:05 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] Re: Kultur-Taler für Projekte anstatt Verwalter |
Bernd von den Brincken wrote: > Aber letztlich: Sie VERWALTEN das Projektbudget - bisher brauchte es 60 > Verwaltungs-Taler für 30 Projekttaler, jetzt sind es 60 zu 10. > Und das läuft in den 327 Berliner nicht-Kultur-Institutionen, Behörden > usw. ähnlich. > Und DAHER kommt die ganze Misere. Nach längerem Schweigen ("Spar-Klausur") hat der Berliner Kultursenator nun seine erste öffentliche Erklärung abgegeben. Eine komprimierte und lesbare Fassung ist (neben dem vollständigen Text) auf http://www.bethanien.de/falschsparer/ nachzulesen. Senator Flierl entschuldigt sich in der Rede für seine Politik der vollendeten Tatsachen ("Wir holen jetzt nach, was zuvor die Lage nicht erlaubte: mit den Einrichtungen reden."), nimmt die Kürzungen für die Berliner "Kunstwerke" zurück und verteidigt den Rest seiner Sparbeschlüsse, die er mit Gesprächsangeboten garniert. [Rohrpost] ist keine Kultursparer-Mailingliste und auch kein Berlin-Bulletin. Aber interessant ist für uns alle die in der Rede angedeutete Fernperspektive der Hauptstadtkulturpolitik: Eine Schwächung der Institutionen und zugleich eine Politik der "Abschichtung" (Flierl), die es einzelnen "qualifizierten Kulturinstituten" als Agenturen überläßt, die öffentlichen Fördermittel frei zu vergeben. Zugleich wird die personelle Ausstattung der Kulturinstitutionen minimiert. Wer sich an die Springprozessionen erinnert, in denen die Berliner Medienkunstförderung verlaufen ist, ahnt, was das bedeutet: Nicht primär die Verschlankung der Verwaltung, die Bernd von den Brincken in seinem Zitat oben herbeisehnt, sondern die Umverteilung zugunsten nicht-institutionalisierter Projekte, deren individualisiertes Schicksal nicht mehr Gegenstand öffentlicher Verteilungsdebatten ist. Viele [Rohrpost]-LeserInnen haben sich freiberuflich im (Medien-/Kunst-)Kulturdschungel eingenischt. Ihre spezialisierte und damit halböffentliche Arbeit wurde aber von Institutionen organisatorisch gesichert und gerahmt. In Berlin läßt sich erkennen, wie sich die Kulturpolitik spaltet: In einen öffentlichkeitswirksamen Event-Sektor und eine zerspplitterte Off-Szenerie. "Off" ist dabei inzwischen alles, was nicht den Glanz eines staatlichen Opernhauses oder die sklerotische Ehrwürdigkeit eines preußischen Großmuseums ausstrahlt. Was man den herrlich unverwalteten freien Projektmachern abseits dieser Eventkultur bei der übernächsten Immobilienkrise wieder wegnehmen wird, nimmt die Öffentlichkeit nicht einmal mehr war. Ein abgelehnter Projektantrag ist schließlich kein Politikum. Es ist deshalb wohlfeil, die Verwaltungen der Kulturinstitutionen zu schmähen. Sie mögen bei jeder Projektabrechnung aufs neue lästig werden. Sie sichern aber die Kontinuität einer publizistischen, medientheoretischen, international vernetzten und vielleicht hin und wieder marktskeptischen Kulturproduktion. Es sind ja Produktionsinstitutionen, die der Kultursenat zuerst aushungert, nicht die Kulturschaustellen mit Tourismusförderungsprädikat. Was sich in der Berliner Sparpolitik abzeichnet, ist also nicht der Sachzwang der Ökonomie - die am Gesamthaushalt gemessen marginalen Beträge verdeutlichen das -, sondern ein verändertes Öffentlichkeitsverständnis der Kulturpolitik, für das die Grundlagenarbeit unterhalb der Event-Wahrnehmungsschwelle mehr und mehr zur Privatangelegenheit wird. Das mündet am Ende in den Trend zur komplexitätsreduzierten Amateurkultur. http://www.bethanien.de/falschsparer/ http://www.berlin.de/home/Land/SenWissKult/kult/index.html ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste fuer Medien- und Netzkultur Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost Info: http://www.mikro.org/rohrpost Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de