Andreas Broeckmann on Thu, 23 Jan 2003 13:15:09 +0100 (CET) |
[Date Prev] [Date Next] [Thread Prev] [Thread Next] [Date Index] [Thread Index]
Re: [rohrpost] Vorsicht: Praktikant/in |
florian, gesundheit hin, polemik her. >In einer Stadt wie Berlin werden somit pro Jahr - grob geschätzt >- zehntausend geisteswissenschaftliche Praktikanten allen >Kulturinstitutionen fest einkalkulierbar zur Verfügung stehen. Daran >kann sich der Kulturbetrieb sanieren, doch der Arbeitsmarkt für >Geisteswissenschaftler wird, in exakter Pervertierung dessen, was der >Bachelor-Abschluß angeblich leisten soll, versaut. ich nehme an, dass nicht nur im kulturbetrieb 'transmediale' das wort *saniert* mit einem mueden laecheln kommentiert wird, denn dass der kulturbetrieb in dieser bankrotten stadt durch die praktikantInnen wieder gesund werden wird, ist wohl etwas zu optimistisch. folgender modellfall: die transmediale (orga und programm) hat in diesem jahr ein kernteam von 12 Leuten; davon sind zwei fest angestellt mit akzeptablem einkommen, drei haben zeitvertraege mit akzeptablem honorar, einer mit zeitvertrag eigentlich unterbezahlt, aber das ging im november nicht mehr anders und war im gegenseitigen einvernehmen. macht 6. von den uebrigen sechs sind drei als Hochschulteam-praktikanten oder im Rahmen von Weiterbildungsmassnahmen bei uns, die werden vom arbeitsamt bezahlt und sollen so (wieder) an bezahlte arbeit rangefuehrt werden, denn wie marians mail von heute morgen zeigt, ist der erste arbeitsmarkt in diesem bereich momentan tot und viele leute, die von den hochschulen kommen, sind ueber jahre ohne qualifizierende joberfahrung. einer von diesen dreien hat fuer die zeit nach dem festival einen job mit zwei-jahres-vertrag gefunden (uebrigens durch seine arbeit hier), die beiden anderen werden nach heutigem stand wieder arbeitslos. drei weitere leute sind als praktikantInnen von hochschulen hier (was eigentlich zur debatte steht), zwei davon mit stipendien des EU-Leonardo-programms (aus lettland und aus italien), einer von einem studiengang audio-visuelle medien, und der bekommt unsere standard EUR 250 praktikumsverguetung im monat. ich denke, dass wir diesen leuten eine echte qualifizierungschance bieten. das festival aber koennte, wenn wir nur leute vom ersten arbeitsmarkt beschaeftigen muessten, in der gegebenen form nicht stattfinden, denn dann wuerden uns die sechs leute, die wir jetzt quasi umsonst haben, - selbst wenn wir sie nur durch vier profis ersetzen wuerden - je um die EUR 15.000 kosten. das nur mal so als beispiel. ich komme mir, wahrscheinlich wie viele kollegen in der branche, nicht eben saniert vor, sondern wie jemand, der am tropf haengt. klar waere mir das lieber, alle leute ordentlich bezahlen zu koennen. (allerdings wuerde dann fuer viele leute die praxis-erfahrung ausfallen, denn ehrlich gesagt hat man unter den praktikantInnen gelegentlich auch echte pfeifInnen, die mehr zeit und nerven kosten, als sie leisten.) das literaturfestival letzten sommer hier in berlin ging durch die presse, weil es auch in der organisatorischen substanz auf praktikantInnen zurueckgegriffen hat und darunter gelegentlich offenbar die qualitaet der veranstaltungen gelitten hat. das will man natuerlich vermeiden, aber in der gegenwaertigen allgemeinen lage muss man diese debatte in der kultur wohl so fuehren, wie sie fuer den pflege- und sozialbereich um die zivildienstleistenden gefuehrt wird: die machen sachen, die sonst unbezahlbar waeren und einfach nicht stattfinden wuerden. also, ich glaube nicht, dass diese praktikumsregelung den arbeitsmarkt versaut (niemand wird freiwillig im drei-monatstakt neue praktikantInnen einarbeiten, wenn er sich qualifizierte leute leisten kann, die er/sie ueber ein ordentliches gehalt fuer jahre binden kann), und aus meiner eigenen erfahrung wuerde ich sagen, dass studenten _jede_ art praktischer arbeitserfahrung nutzen sollten, denn gerade im kulturbereich qualifiziert die hochschulausbildung nur sehr, sehr begrenzt. ich denke, fuer die sanierung des kulturbetriebs wird es anderer massnahmen beduerfen. gruss, -a -- ------------------------------------------------ andreas broeckmann - artistic director transmediale - international media art festival berlin klosterstr. 68-70 - d-10179 berlin tel. +49-30-2472 1907 - fax +49-30-24721909 ab@transmediale.de - www.transmediale.de ----------------------------------------------- transmediale.03 - play global! - 1-5 february 2003 ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/